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Pressestimmen von Samstag, 2. Juli 2005

Annamaria Sigrist1. Juli 2005

Bundeskanzler Gerhard Schröder verliert Vertrauensfrage

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Die Kommentare der deutschen Tageszeitungen befassen sich an diesem Samstag überwiegend mit der von Bundeskanzler Gerhard Schröder gestellten Vertrauensfrage im Bundestag. Der hat ihm erwartungsgemäß das Vertrauen entzogen. Somit ist der erste Schritt zu Neuwahlen im Herbst vollzogen.

Die Frankfurter Rundschau schreibt dazu:

"Was hier gespielt wurde, war nicht frivol und unlauter, sondern vernünftig und redlich. Das Spiel wäre nur dann unzulässig gewesen, wenn die Verfassungsrichter ihm bei ihrer Auslegung des Artikels 68 des Grundgesetzes einen Riegel vorgeschoben hätten, was sie nicht getan haben. Oder wenn die Methode einem dubiosen Zweck dienstbar gemacht worden wäre. Das Gegenteil ist der Fall."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München bemerkt:

"Gerhard Schröder hat Bilanz gezogen, und es ist Zeit für die Abrechnung: Er war ein großer Kanzler, weil er große Fehler gemacht hat. Aber die Größe der Fehler entsprach der Größe der Aufgaben, denen er sich zu stellen hatte. Er hat die Reformen, von denen sein Vorgänger nur geredet hat, angepackt; erst beinah unernst, dann zögernd, schließlich entschlossener, zuletzt wagemutig und tollkühn. Er tat dies stets mit wenig Rücksicht auf seine Partei; er war der Autokrat der SPD. Er war der Autokrat ausgerechnet der Generation von sozialdemokratischen Politikern, für die Willy Brandts Motto 'mehr Demokratie wagen' der Inbegriff von Politik ist. Schröder hat mehr Reform gewagt, aber ganz wenig innerparteiliche Demokratie.

Die WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN aus Münster meinen:

"Die größten Fragezeichen hinterlässt Schröder selbst. Er will seinen Reformkurs namens Agenda 2010 fortsetzen, neu legitimiert durch eine Volksabstimmung namens Bundestagswahl. Doch exakt diese Politik bildet gegenwärtig die Sollbruchstelle der Sozialdemokratie, die Ursache dafür, dass Schröder innerparteilich und innerkoalitionär tief in Kalamitäten steckt. Das hat er gestern höchst selbst zu Protokoll gegeben. Aber: Eine offenkundig nach links rückende SPD vergrößert doch nur die ohnehin schon erhebliche programmatische Distanz zu diesem Kanzler. Wer da mit wem und womit Erfolg versprechend Wahlkampf machen will, bleibt schleierhaft."

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt notiert:

"Wegen der vielen und gewiss auch notwendigen sozialen Schnitte fühlte der Wähler wie ein Patient. Der nimmt es übel, wenn nach einer Operation auch noch ständig Nachbesserungen folgen müssen. Darum wandte er sich bei den Landtagswahlen von Rot-Grün ab. Groß sind die Erwartungen nicht, dass Schwarz-Gelb als Wunderheiler kuriert. Doch kurz und damit vielleicht weniger schmerzhaft soll es abgehen. Dankbar wird Schröders Vorschlag angenommen, vorzeitig über einen Wechsel abzustimmen. Der Weg zurück zur SPD ist dadurch weniger versperrt als bei einer Quälerei bis zum bitteren Ende."

Die HAMBURGER MORGENPOST ergänzt:

"Der gestrige Tag kannte viele Verlierer: Gerhard Schröder, der mit einem zugegebenermaßen souveränem Auftritt das eigene Ende einläutete - vorläufiger Schlusspunkt einer gescheiterten Politik. Verloren hat die SPD, der jetzt die 'Atomisierung' droht. Verloren hat auch die Opposition, deren Chefin gestern eine müde Rede hielt. Dabei hatte die Union bislang vor Kraft strotzend rot-grüne Projekte reihenweise blockiert. Nur das äußerst fragwürdige parlamentarische Prozedere von gestern - das blockierte sie nicht."

Abschließend kommentiert der Berliner Kurier:

"Ob Gerhard Schröder am 18. September Kanzler bleiben wird, liegt jetzt nur an uns Wählern. Hören wir also genau hin, was uns die Wahlkämpfer versprechen. Und passen wir besonders gut auf, was sie uns auf unsere Fragen nicht sagen wollen. Bohren wir nach, denn es geht nicht um Schröder oder Merkel, es geht allein um die Zukunft unseres Landes. Und da ist mir das Team Schröder/Fischer tausend Mal lieber als ein Merkel-Experiment der sozialen Kälte. Joschka Fischer hat es gestern bereits vorgemacht: Er griff Merkel wegen ihrer Politik scharf an. Der Wahlkampf wird heiß und spannend!"