1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Samstag, 21. April 2007

Ursula Kissel20. April 2007

Rücktritt von Siemens-Aufsichtsratschef Pierer

https://p.dw.com/p/AHM0

Mit dem angekündigten Rücktritt hat sich Siemens-Aufsichtsratschef Pierer dem Druck in der Schmiergeldaffäre des Konzerns gebeugt. Für die Kommentatoren der deutschen Tagespresse ist der Abgang Pierers ein zentrales Thema.

Das OBERMAIN-TAGBLATT aus Lichtenfels ist der Meinung:

"Der Rücktritt von Heinrich von Pierer als Siemens-Aufsichtsratschef war überfällig. Nicht, weil man ihm eine persönliche Mitschuld an dem Schmiergeldskandal vorwerfen könnte, geschweige denn eine solche nachgewiesen hätte, sondern weil es wie in der Politik auch eine moralische Verantwortung geben muss."

Der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn glaubt:

"Der einstige Vorzeigemanager Heinrich von Pierer ist mit seinem Rücktritt bei Siemens zur tragischen Figur geworden. Er zeichnet damit in seinem persönlichen Schicksal den Aufstieg und Fall des von ihm lange Jahre geführten Traditionskonzerns nach. Siemens ist wirtschaftlich fraglos erfolgreich. Immer fragwürdiger geworden sind dabei aber die Erfolgsmethoden. (...) Dass ab sofort keine anrüchigen Funde mehr ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, dürfte eher eine fromme Hoffnung sein."

Der Berliner TAGESSPIEGEL gibt zu bedenken:

"Ob dieses Rücktrittsopfer, so sieht es von Pierer, nun dem Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld hilft, hängt vom weiteren Verlauf der Affäre respektive deren Aufklärung ab. Siemens ist weder aus den Schlagzeilen noch aus der Krise, auch wenn Kleinfeld in der kommenden Woche vermutlich sehr gute Geschäftszahlen vorlegen wird."

In der STUTTGARTER ZEITUNG heißt es:

"Mit seinem Beharrungsvermögen hat der frühere Siemens-Chef, der unbestritten Verdienste um den Technologiekonzern hat, sein eigenes Denkmal geschleift. Mehr noch. Er hat der deutschen Wirtschaft einen Bärendienst erwiesen. Gut ist das Image der Spitzenmanager hier zu Lande längst nicht mehr. Sie gelten gelinde gesagt als selbstsüchtig und gierig. (...) Diejenigen, die laut nach der Marktwirtschaft rufen, lassen sich das Risiko mit Abfindungen in Millionenhöhe absichern."

Die Tageszeitung DIE WELT aus Berlin schreibt:

"Allzu offensichtlich war seit langem, dass der Aufsichtsratsvorsitzende nicht mehr die Glaubwürdigkeit besitzt, Skandale zu bewältigen, die in seiner Zeit als Vorstandschef ihren Ursprung hatten. Das zeigt einmal mehr, dass der Wechsel eines Konzernchefs an die Spitze des Aufsichtsrats sehr problematisch ist. Es wäre allerdings ungerecht, dass gesamte Lebenswerk von Pierers einzig im Licht der Skandale und seines Rücktritts zu sehen."

Die NEUE PRESSE aus Hannover fragt:

"Müssen kleine und große Siemens-Aktionäre, tief- und hochrangige Siemens-Mitarbeiter einem Heinrich von Pierer irgendeine Träne nachweinen? Nein. Der Mann hat sich - mangels Einsicht - viel zu spät entschlossen, sein Amt als Aufsichtsratschef abzugeben. In seiner Amtszeit als Vorstandschef florierte die Korruption bei Siemens. Da darf man nicht auch noch im Aufsichtsrat die Aufklärung von Affären kontrollieren, in die man - zumindest in kollektiver Vorstandsverantwortung - selbst verwickelt ist."

Auch die Mainzer ALLGEMEINE ZEITUNG ist sich sicher:

"Heinrich von Pierer hat spät, viel zu spät erkannt, dass sein zähes Verharren auf dem Sessel des Chefkontrolleurs täglich aufs Neue den Verdacht nährte, da wolle einer nur vertuschen, was er selbst angerichtet hat. Seine Karriere endet in einem Fiasko, weil er zu spät Einsicht zeigte. Soll es dem Rest der deutschen Aktiengesellschaften nicht irgendwann ähnlich ergehen, müssen aus dem Drama bei Siemens schleunigst Konsequenzen gezogen werden."

Dagegen ist die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock der Meinung:

"Pierer jetzt ausschließlich als Buhmann zu brandmarken, würde seiner Person aber nicht gerecht werden. Er hat Respekt verdient. Zum einen dafür, dass er, wenn auch zögerlich, Verantwortung übernahm für den peinlichen Korruptions-Skandal. Zum anderen dafür, dass er den einst trägen Konzern in den Jahren seiner Macht auf Vordermann brachte, erst als Vorstandsvorsitzender, dann als Chef-Kontrolleur. Sein Rückzug darf als Zeichen dafür verstanden werden, dass Siemens tatsächlich aufräumen will mit der kriminellen Vergangenheit."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München resümiert:

"Die Affäre hat vor allem die Marke Siemens beschädigt, den Ruf eines Unternehmens, das vor bald 160 Jahren als 'Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske' in Berlin gegründet wurde. (...) Heute baut Siemens den Transrapid und den Hochgeschwindigkeitszug ICE, die effizientesten Gasturbinen der Welt und hochmoderne Computertomographen. Doch die 475.000 Mitarbeiter, die diese Produkte herstellen, müssen sich von Freunden, Verwandten und Nachbarn fragen lassen, für was für ein Unternehmen sie arbeiten. Viele Siemensianer fragen sich aber auch selber, ob sie ihren Chefs noch trauen dürfen."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN konstatieren:

"Gelitten hat unter dieser Affäre wieder einmal die Unternehmenskultur in Deutschland, die sich mehr und mehr in Richtung einer Kultur der Schamlosigkeit entwickelt. Und es ist erneut deutlich geworden, dass hierzulande die Rechtsmittel fehlen, um Vorstände und Aufsichtsräte so in Regress zu nehmen, wie sie es verdienen. Was bleibt, ist das Bild eines Managers, der an seinem Sessel klebte und der sich in Worthülsen flüchtete, um ja kein klares Wort über seine Versäumnisse sagen zu müssen."