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Pressestimmen von Samstag, 23. März 2002

zusammengestellt von Hans Ziegler22. März 2002

Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat

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Das alles beherrschende Thema in den Kommentaren der deutschen Tagespresse ist an diesem Samstag die als historisch eingestufte Abstimmung des Bundesrates über das Zuwanderungsgesetz. Die Länderkammer verabschiedete das von Innenminister Schily mehrfach überarbeitete Gesetz mit hauchdünner Mehrheit. Den Ausschlag gab das Votum des von SPD und CDU regierten Brandenburgs. Dessen SPD-Regierungschef Stolpe votierte für das Gesetz, sein CDU-Innenminister Schönbohm mit Nein. Bundesratspräsident Wowereit wertete das Ja Stolpes als ausschlaggebend und stellte eine Mehrheit fest.

Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist das Abstimmungsergebnis Anlaß zur Sorge:

"Das Schicksal eines Jahrhundertgesetzes hängt nun ab von
juristischer Sophisterei, davon, wie das das Erfordernis
einheitlicher Stimmabgabe auszulegen ist. Ein wichtiges Gesetz ist befleckt. CDU und CSU warten jetzt darauf, ob der Bundespräsident das Gesetz unterschreibt. Tut er es, wird ihm die Union Parteilichkeit vorhalten. Die Szene wird zum Tribunal. Opfer sind, wieder einmal, die Ausländer in Deutschland. Aus einem Tag, der den Einstieg in eine
gute Integrationspolitik hätte bringen können, wird wohl nun ein Beitrag zur Verwilderung der Republik.'

Auch die LÜBECKER NACHRICHTEN sehen die Glaubwürdigkeit der Politik in Gefahr:

"Was für ein unwürdiger Höhepunkt eines ohnehin schon unwürdigen Eiertanzes um ein Gesetz, das nun wirklich nicht geeignet ist, den Bundesbürger wahlweise zu Freudenausbrüchen zu verleiten oder in tiefe Depression fallen zu lassen ... für einen derartigen Affentanz, wie er gestern im Bundesrat zur Aufführung gekommen ist, für den gibt es beim besten Willen keinen Anlass. Politik ganz unten. Zum Davonlaufen."

Die SAARBRÜCKER ZEITUNG spricht von einem "absurden Spektakel":

"Festzustellen bleibt, dass keine Seite einen wirklichen Vorteil aus dem unwürdigen Geschachere wird ziehen können. Weder Bundeskanzler Gerhard Schröder noch Kanzlerkandidat Edmund Stoiber haben Anlass zu triumphieren. Zwei echte Verlierer des absurden Spektakels stehen gleichwohl fest: der Staat, die ganze Gesellschaft.
Und natürlich die Ausländer und Einwanderer. Denn sollte das Gesetz in Karlsruhe scheitern, bleibt als trauriges Ergebnis, dass der jetzige Rechtszustand bei der Zuwanderung, den alle Seiten bitterlich beklagen, für unabsehbare Zeit zementiert wird."


In der FRANKFURTER RUNDSCHAU heißt es:

"Unter dem Strich muss man von einem Pyrrhussieg der Bundesregierung sprechen. Sie mag neuen Regeln der Zuwanderung und Integration von Ausländern in Deutschland zu Gesetzeskraft verholfen haben, aber um einen hohen Preis. Bundeskanzler Schröder hat zwar ebenso wie Kandidat Stoiber auf der anderen Seite die eigenen Reihen geschlossen halten können, aber nur auf Kosten einer bisher gut arbeitenden Landesregierung. Ministerpräsident Stolpe wie sein Innenminister Schönbohm haben sichtlich gelitten wie die Hunde und keine Entscheidung für ihr Land, sondern eine für ihre Parteien getroffen. Diese Erpressung einer Landesregierung ist neben allen Formalien die wirkliche Verfassungskrise."

DIE WELT sieht vor allem machtpolitisches Kalkül des Kanzlers am Werk:

"Auf den ersten Blick ist Gerhard Schröder der Sieger im großen Machtkampf um die Zuwanderung. Er hat sein umstrittenes Gesetz durch Bundestag wie Bundesrat gepeitscht und damit die Evidenz der Macht demonstrativ auf seine Seite gezwungen. Der zweite Blick offenbart allerdings tiefe Wunden der Durchpeitscherei. Mit einem Trick, der an
Verfassungsbruch grenzt, schummelt Schröders Mannschaft das gespaltene Votum eines Bundeslandes zur klaren Stimmabgabe. Zwei veritable Ministerpräsidenten - Stolpe und Wowereit - werden auf offener Bühne zu machtpolitischen Winkeladvokaten degradiert."

Abschließend noch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, die in die gleiche Kerbe schlägt:

"Der Kanzler hat bekommen, was er wollte - doch um welchen Preis!
Die politische Auseinandersetzung um eine angebliche Zukunftsfrage dieses Landes endete im Eklat. Die rot-grüne Regierung nahm einen Verfassungskonflikt in Kauf, um das Gesetz durchzubringen. Bundestagspräsident Wowereit hat sich durch die Missachtung der herrschenden juristischen Meinung und der Empfehlung seiner eigenen Direktion dem Verdacht ausgesetzt, bis zum Verfassungsbruch parteiisch zu handeln. Der Bundespräsident, der sich für die Neuregelung der Einwanderung ausgesprochen hatte, wird, da das Gesetz seiner Unterschrift bedarf, in eine schwierige Lage gebracht."