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Pressestimmen von Samstag, 24. Dezember 2005

Reinhard Kleber23. Dezember 2005

Höherer deutscher EU-Nettobeitrag / Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten

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Für den EU-Finanzkompromiss von Brüssel muss Deutschland netto zwei Milliarden Euro im Jahr mehr zahlen. Das hat die Bundesregierung eingeräumt. Ein Regierungssprecher sagte, ausschlaggebend sei, wie sich die Zahlungen auf den nationalen Haushalt auswirkten. Ein gefundenes Fressen für die Leitartikler der deutschen Tageszeitungen.

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN bezieht folgende Position:

"Wie gut Angela Merkel in Brüssel verhandelt hat, ist nur noch eine Frage der Sichtweise: Die Opposition schimpft, die Koalition lobt - es verhält sich offenbar wie die Sache mit dem halbvollen Glas, das eben leider auch halbleer ist. Deutschland zahlt mehr als bisher, aber weniger als befürchtet, was - wie Regierungssprecher Steg meint - ein schönes Ergebnis ist, gemessen an den düsteren Erwartungen vor dem Gipfel. So kann man reden, wenn man regiert. Die Opposition hingegen vermisst rund zwei Milliarden Euro, die in der Gipfelbilanz bisher gänzlich unter den Tisch gefallen sind - und hat damit bei Licht besehen natürlich auch recht."

In der HESSISCHEN/NIEDERSÄCHSISCHEN ALLGEMEINEN aus Kassel ist zu lesen:

"So schnell geht das: Eben noch gelobt für ihr Verhandlungsgeschick auf dem EU-Gipfel, schlägt über Kanzlerin Angela Merkel nun eine Welle der Kritik zusammen. Überraschend ist das nicht. Denn bei näherem Hinsehen kam das Lob für Merkel vor allem aus den Nachbarländern. Und die finden es immer gut, wenn Deutschland um des lieben Friedens willen das Portemonnaie öffnet. Zwei Milliarden Euro mehr im Jahr muss Berlin künftig in die EU-Kassen zahlen. Das ist ärgerlich, aber letztlich doch sinnvoll. Von dem Geld profitieren vor allem die neuen Mitglieder - und die sollen schließlich mit uns ins Geschäft kommen. Ein gescheiterter EU-Gipfel hätte niemandem genützt."

Verständnisvoll zeigt sich auch die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg:

"In der Tat hat die Kanzlerin nicht nur die Mittlerin zwischen den zerstrittenen Briten und Franzosen gespielt. Sie hat auch einen eigenen Preis dafür zahlen müssen, dass die Kampfhähne am Ende zufrieden waren. Auf der anderen Seite stimmt das Argument, dass eine dauerhafte Krise der EU für Deutschland viel teurer wäre. Immerhin ist unser Export hauptsächlich auf den europäischen Raum ausgerichtet."

Und noch die Stellungnahme der SÜDWEST PRESSE aus Ulm:

"Ganz so glorreich, wie es schien, hat Angela Merkel auf ihrer Gipfel-Premiere nicht verhandelt. Da war sie nicht besser oder schlechter als ihre Vorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder, die ebenfalls das Scheckbuch zückten, wenn sich die Gespräche über Europas Zukunft entscheidend verhakt hatten. Soll man die Kanzlerin deshalb schelten? Die Einigung auf das EU-Budget liegt in deutschem Interesse, ebenso die gemeinsame Förderung von Wachstum und Innovation in einer erweiterten Union. Das ist nicht für einen charmanten Augenaufschlag zu haben."

Bundespräsident Horst Köhler hat Politik und Bürger in Deutschland aufgerufen, sich mit einer gemeinsamen Anstrengung wieder an die europäische Spitze hochzuarbeiten. Dies bringe Arbeitsplätze und Sicherheit, sagte das Staatsoberhaupt in seiner Weihnachtsansprache. Die deutsche Tagespresse schreibt zu Köhlers Ansprache und zu Weihnachten allgemein:

"Unbekümmert appelliert der erste Mann im Staate an alte Tugenden", schreibt etwa die HEILBRONNER STIMME, "ein bisschen mehr Ehrlichkeit, Anständigkeit und Redlichkeit im täglichen Umgang könnten uns in der Tat nicht schaden. Denn der aufgeblähte Fürsorge- und Rechtsmittelstaat hat Deutschland in eine Ego-Gesellschaft verwandelt. Um jeden Anspruch wird erbittert gekämpft. Kein Opfer ist zu groß, das der Nachbar erbringen muss. Mehr Reformbereitschaft wird immer von anderen erwartet. Dies ist die Botschaft des Bundespräsidenten, wenn auch in weihnachtliche Watte gepackt."

Der SCHWARZWÄLDER BOTE aus Oberndorf meint:

"Ja, der Bundespräsident hat uns zu Weihnachten einen bürgerschaftlichen Weg aus der scheinbar allgegenwärtigen deutschen Tristesse aufgezeigt. Wir müssen ihn nur gehen! Gewiss, da sind überall im Land noch Berge abzuarbeiten; warum also nicht gleich nach dem Fest damit anfangen? Wohlgemerkt, arbeiten, nicht zaubern ist gefragt - was seine Zeit braucht. Das Ziel ist klar: Wir waren mal Spitze - und genau da wollen wir wieder hin."

Die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld gibt zu bedenken:

"Sinn, Gemeinschaft, Bindungen sind kostbare, aber seltene Rohstoffe und Güter geworden. Vielleicht stehen wir tatsächlich vor einem Gezeitenwechsel in der Kultur der modernen Gesellschaften. In welche Wärmestuben es die Menschen aber dann drängt, ist nicht recht erkennbar. Vielleicht gibt es ja in der Tat ein Comeback von Kirchen und Religion, über das im Jahr 2005 in den Feuilletons viele kluge Köpfe zahlreiche gescheite Kommentare verfasst haben. Ohne Zweifel jedenfalls: Die Kirchen in Deutschland haben in den letzten 40 Jahren schon schlechtere Zeiten erlebt."

Abschließend lassen wir die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder zu Wort kommen:

"Nein, es ist kein Friede und es ist kein Wohlgefallen, aber es ist ja die Hoffnung der Weihnachtsbotschaft, dass Friede werde. Es ist jene Hoffnung, die uns vor Verzweiflung rettet und glauben lässt an bessere Zeiten. Dabei ist es ja wahr - blindwütige und blutrünstige Mordbrenner sind kaum mit Mitteln des politischen Dialogs zu zähmen. Staaten und Staatengemeinschaften haben die Aufgabe, ihre Bürger zu schützen, und wenn es die Situation erfordert, auch mit Härte und Gewalt. Es ist aber genauso wahr, dass eine freiheitliche Gesellschaft sich aufgeben würde, wenn sie zum Zwecke des Schutzes ihrer Werte diese Werte durch fragwürdiges Handeln selbst verrät."