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Pressestimmen von Samstag, 25. März 2006

Zusammengestellt von Ursula Kissel24. März 2006

EU kritisiert Weißrussland / Ärzteprotest gegen Sparmaßnahmen

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In Brüssel ist der Frühjahrsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zu Ende gegangen. Die deutschen Zeitungen kommentieren die scharfe Kritik der europäischen Politiker an der jüngsten Entwicklung in Weißrussland.

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock zweifelt die Wirksamkeit möglicher Sanktionen der EU gegenüber Weißrussland an:

"Angesichts offenkundiger Unterdrückung von Meinungs- und Demon- strationsfreiheit und der friedlich agierenden Opposition ist die harsche Kritik der EU am Regime Lukaschenko und die Androhung von Sanktionen berechtigt. Allerdings wären Restriktionen Brüssels gegen Belarus eine recht zwiespältige Angelegenheit. Schließlich ist die EU inzwischen zum größten Handelspartner Weißrusslands avanciert. Grund: das von Moskau deutlich unter Weltmarktpreis gelieferte Erdöl und Gas. Das verkauft Minsk mit viel Gewinn, aber immer noch günstig, nach Westeuropa weiter. Ergo profitieren beide Seiten. Insofern klingt die EU-Drohung halbherzig, nach Papiertiger. Sie hätte nur Sinn, wenn auch Russland dem kleinen Bruder in Minsk mit Sanktionen, etwa Rohstoffteuerungen, drohte. Doch Moskau wird sich hüten, den letzten Verbündeten in Osteuropa zu vergrätzen."

Die in Halle erscheinende MITTELDEUTSCHE ZEITUNG schreibt:

"Lukaschenko ist unberechenbar. Er hat Oppositionelle in der Vergangenheit durchaus auch mal verschwinden lassen. Zudem hält er sein Volk dumm - durch beleidigend dumpfe Demagogie und alleinige Kontrolle über die wichtigen Massenmedien des Landes. Und genau hier muss der Westen ansetzen. Er muss die Zivilgesellschaft durch Kontakte und den Aufbau einer eigenen Medien-Öffentlichkeit stärken. Er muss die Nomenklatura durch Einreiseverbote ächten, den einfachen Menschen aber den Austausch mit den demokratischen Nachbarn erleichtern. Ein rascher Regime-Wechsel ist in Weißrussland unwahrscheinlich. Dennoch sollte Europa zeigen, dass es das strategisch unbedeutende Belarus auf der Rechnung hat."

Die BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN in Karlsruhe hingegen meinen:

"Die angedrohten Sanktionen gegen Lukaschenko und seine Umgebung schaden nicht, doch man darf davon auch nicht viel erwarten. Mehr bringt der europäische Druck auf Russland, dem das Lukaschenko- Regime sein wirtschaftliches Überleben verdankt. Der eigentliche Schlüssel zur Befreiung Weißrusslands vom Despoten liegt im Kreml."

Die KIELER NACHRICHTEN hoffen auf die Wirksamkeit der Druckmittel, glauben aber:

"Lukaschenko wird das Einreiseverbot kaum beeindrucken. Trotzdem ist die schroffe Reaktion des Westens nicht völlig vergebens. Sie wird in der Bevölkerung aufmerksam registriert werden. Zwar ist es bis zu einer orangenen Revolution nach dem Vorbild der Ukraine noch ein weiter Weg, schon weil die Opposition in Weißrussland zahlenmäßig viel kleiner ist. Aber dauerhaft wird sich der Herrscher von Minsk nicht an der Macht halten können. Er wäre vermutlich schon längst aus dem Amt gejagt worden, wenn nicht der russische Präsident seine schützende Hand über ihn gehalten hätte. Die EU sollte ihn stärker in die Pflicht nehmen. Es wäre eine gute Gelegenheit für Putin, sich als lupenreiner Demokrat zu erweisen."

Themenwechsel. In Berlin haben 30.000 niedergelassene Ärzte demonstriert. Ihr Protest richtete sich gegen Sparmaßnahmen und vorgesehene Strafmaßnahmen für Ärzte bei zu teuren Rezept- Verordnungen. Die Presse kommentiert die Positionen von Regierungvertretern und Ärzten:

Der BERLINER KURIER sieht den Ärztestreik vor dem Hintergrund eines maroden Gesundheitssystems: "Die Ärzte sind wütend. Zu viel Arbeit, zu wenig Lohn. 30 Prozent mehr Geld wollen sie. Mag ja alles berechtigt sein. Doch steckt hinter diesem Ärztekampf mehr als nur eine Forderung nach mehr Geld. Es zeigt, dass unser ganzes Gesundheitssystem krank ist. Und das Schlimme daran ist: Alle wissen es. ... Das ganze System muss geheilt werden. ... Frau Merkel, fangen Sie endlich an, die Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen!"

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt schreibt:

"Am Geldmangel krankt das Gesundheitswesen nicht. Allein sein riesiger Apparat verschlingt Unsummen. Doch an ihn traut sich niemand heran, auch nicht die demonstrierenden Ärzte. So läuft ständig alles darauf hinaus, die Beitragszahler zur Kasse zu bitten. Ministerin Schmidt für alle Missstände anzuklagen, ist zu einfach. So sehr die Forderung der Ärzte nach höherem Honorar und weniger Restriktion bei der Arzneimittelverordnung berechtigt ist, muss man sie zum Sparen drängen."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG warnt vor überhasteten Maßnahmen:

"Der Aufstand der Ärzte sagt der Gesundheitspolitik, dass sie viel zu tun hat. Die große Reform mag nötig sein, doch sie sollte in kleinen Schritten verwirklicht werden, ein kompletter Umsturz, dessen Ergebnis niemand voraussagen kann, wäre gefährlich. Noch sind nicht einmal die vernünftigen Einzelheiten aus den jüngsten Gesetzen realisiert... die Verknüpfung von ambulanter und stationärer Behand- lung zum Beispiel, die sehr viel Geld sparen könnte. Die hohen Arzneikosten lassen sich nicht mit einer unsinnigen Bestrafung der Ärzte reduzieren, die die Mediziner entmündigt und die Patienten verängstigt."

Die FRANKFURTER NEUE PRESSE zeigt Verständnis für beide Seiten:

"... Kassenärzte und Klinikärzte dürfen nicht davon ausgehen, dass ihre Forderungen eins zu eins erfüllt werden können. Das viele Geld, das dies kosten würden, steht nun mal nicht zur Verfügung. Dennoch muss der Staat sich bewegen und den Ärzten entgegenkommen."

Die BAYERISCHE RUNDSCHAU aus Kulmbach kritisiert:

"Angestellte wie niedergelassene Ärzte fühlen sich von überbordendem Bürokratismus gegängelt. Zu Recht. Ärztearbeit ist zu wertvoll, um täglich mehrere Stunden davon mit Papierkram zu vergeuden. Bei der zweiten zentralen Forderung nach mehr Geld für Einkommen und Verschreibungen stöhnen wir Versicherte auf. ... Wie heilsam wäre es doch, wenn die große Koalition diesmal statt bei uns abzukassieren, falsche Strukturen ausmerzen würde. ... Man wird ja wohl noch träumen dürfen."