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Pressestimmen von Samstag, 27. Januar 2007

Siegfried Scheithauer26. Januar 2007

NATO und Afghanistan / Steinmeier und Kurnaz

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Die NATO will sich mit mehr Soldaten und mehr Geld für eine befürchtete Frühjahrsoffensive der Taliban in Afghanistan rüsten. Die Strategie der Außenminister für den Hindukusch wird von den Leitartiklern der deutschen Tagespresse einer kritischen Prüfung unterzogen.

Das FLENSBURGER TAGEBLATT sieht weiterhin eine grundsätzlich falsche Ausrichtung der US-Politik:

"Washington kann sich eine Niederlage in Afghanistan noch weniger leisten als im Irak. Es wäre die Kapitulation im Kampf gegen den Terrorismus. Ob das neue US-Milliardenpaket richtig geschnürt ist, bleibt aber dahingestellt. Das meiste Geld fließt wie bisher in den Aufbau der afghanischen Armee und Polizei. Es wird in Zukunft aber nicht mehr reichen, in Schnellkursen notdürftig ausgebildete Ordnungshüter in den Kampf gegen Extremisten oder Drogenbarone zu schicken. Nachhaltige Politik sieht anders aus."

Die BERLINER MORGENPOST vermisst neue Impulse vom NATO-Chef:

"Um Afghanistan steht es nicht viel besser als um den Irak. Glaubt man den Experten, werden die Taliban erneut in die Offensive gehen. Dennoch muss es am Hindukusch nicht so kommen wie im Irak. Denn die westlichen Truppen sind bemüht, die gleichen Fehler zu vermeiden. Vorschläge dafür müssen auch von Nato-Generalsekretär kommen. Jaap de Hoop Scheffer obliegt die politische Führung des Bündnisses, doch bisher hat er es an politischen Initiativen für Afghanistan vermissen lassen."

Eine polemische Abrechnung dazu lesen wir im WESER-KURIER aus Bremen:

"Prima. NATO-Generalsekretär De Hoop Scheffer propagiert einen 'ganzheitlichen Ansatz' von zivilen und militärischen Instrumenten in Afghanistan - und alle Außenminister der Allianz applaudieren. Doch warum erst jetzt? Seit über fünf Jahren führt der Westen Krieg am Hindukusch und denkt nun daran, mehr als bisher in den zivilen Aufbau zu investieren? Reichlich spät."

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN beleuchten die deutsche Position:

"Kanzlerin Angela Merkel hat sich beim Nato-Gipfel in Riga Ende November elegant aus der Affäre gezogen und beharrte auf der an sich klugen Doktrin vom Vorrang des zivilen Wiederaufbaus. Doch nun wird der Ruf nach deutschen Tornados immer lauter. Und das völlig zu Recht. Deutschland könnte einen wichtigen militärischen Beitrag leisten, ohne direkt in das Kampfgeschehen eingreifen zu müssen. Und es wäre ein starkes Signal an das Bündnis: Deutschland zeigt Flagge."

Abschließend zu diesem Thema zitieren wir das BADISCHE TAGBLATT mit folgendem Resümee:

"Mit der Verzahnung von Sicherheit und Wiederaufbau sind die NATO-Staaten auf dem richtigen Weg. (...) Für Deutschland heißt das, dass die Bundeswehr am Hindukusch weiter gebraucht wird, vielleicht sogar deren Aufklärungstornados. Deren Einsatz sollte aber nicht die Regierung, das muss vielmehr der Bundestag entscheiden. Unerlässlich ist vor allem finanzielle Aufbauhilfe."

Immer neue Kreise zieht die Berliner Affäre Kurnaz: Im Fall des ehemaligen Guantanamo-Häftlings bleibt Außenminister Steinmeier unter Druck. Ein Anlass für die Meinungsmacher, immer wieder nachzubohren.

Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz beschreibt den Frontenverlauf:

"Nur teilweise deckt sich die Erinnerung des ehemaligen Kanzleramtsministers und jetzigen Bundesaußenministers Steinmeier mit der Aktenlage im Fall Kurnaz. Dabei hat er schon mehrere Verteidigungslinien in dieser Sache aufgebaut, wenn auch nur, um sie regelmäßig wieder zu verlassen und dem jeweils aktuellen Nachrichtenstand anzupassen. Das sollte er nicht unbegrenzt fortsetzen. Er sollte endlich ein klares Wort zu seiner Verantwortung sprechen, nicht mehr, aber bitte auch nicht weniger."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN bringen, wie einige andere Zeitungen, den Schutz der Menschenrechte in Erinnerung:

"Selbst wenn Kurnaz kein unbeschriebenes Blatt gewesen wäre, hätte ein deutscher zu Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten verpflichteter Minister alles versuchen müssen, um einen Mitbürger aus einem solchen Folterlager herauszuholen. Was im übrigen auch für Minister wie Schily und Fischer gilt. Schließlich dürften sie alle schon von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention gehört haben, der, 'erniedrigende Behandlung' á la Guantanamo verbietet. Diese Deklaration gilt für alle Menschen."

Auch die Heidelberger RHEIN-NECKAR-ZEITUNG beklagt ein sonderbares Verhältnis deutscher Stellen zu Recht und Gesetz:

"Es galt 2002 noch das große Wort Schröders von der uneingeschränkten Solidarität mit den USA. Der frühere Kanzler, der sich erst mit Beginn des Irak-Krieges im März 2003 vom Acker machte, hätte besser schon 2001 die Einschränkung hinzugefügt: im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit. Denn dieser fehlende Vorbehalt hat das Verhalten der Geheimdienste und der beteiligten Regierungen bestimmt, wie der Fall Kurnaz belegt. Und das wirft, ganz abgesehen davon, ob es Steinmeier nachträglich noch das Amt kostet, einen Schatten auf die Lichtgestalten der rot-grünen Ära. Auf Schröder wie Fischer."

Die STUTTGARTER ZEITUNG ordnet den Fall Kurnaz ein in die grundsätzliche Strategie der rot-grünen Ära:

"Ihre moralische Unschuld hatte die rot-grüne Regierung schon verloren, bevor Kurnaz als Kronzeuge dafür auftauchte. Angesichts der Hilfsdienste deutscher Agenten für die US-Armee im Irak klingen manche Phrasen der Friedensapostel Schröder und Fischer nur noch scheinheilig. Seit bekannt ist, dass deutsche Sicherheitskräfte frühzeitig über die illegalen Praktiken der CIA Bescheid wussten, ohne vernehmlich zu protestieren, muss einem die Menschenrechts- rhetorik jener Jahre wie Heuchelei vorkommen."