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Pressestimmen von Samstag, 27.Juli 2002

Gerhard M. Friese27. Juli 2002

Themen: EU-Sanktionen gegen Portugal/Rücktritt Özdemir/Wahlkampf

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Die drohenden Sanktionen der Europäischen Kommission gegen Portugal, der Rücktritt des Grünen-Politikers Cem Özdemir sowie die Stimmung bei den Wählern in Deutschland beschäftigen an diesem Samstag die Kommentatoren deutscher Tageszeitungen.

Als erstes Land der Euro-Zone muss Portugal mit Sanktionen wegen des Verstoßes gegen den Stabilitätspakt rechnen. Dazu schreibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Den EU-Finanzministern, die demnächst über das weitere Vorgehen entscheiden müssen, bleibt nur ein Ausweg. Sie werden Härte demonstrieren und Portugals Regierung notfalls über Drohungen auf Linie bringen müssen. Denkbare Sanktionen in Form von Geldbußen oder der Streichung von EU-Regionalhilfen wären weder im Sinne Lissabons, noch wären sie dazu geeignet, EU-Kommissar Solbes' Vorstellungen über den erzieherischen 'präventiven' Charakter des Stabilitäts-Paktes Nachdruck zu verleihen. Und wollten die fünfzehn am ungeliebten Pakt rütteln, sollten sie es lieber nicht in Premiere-Zeiten tun."

Im NORDBAYERISCHEN KURIER aus Bayreuth heisst es:

"Die EU kommt schon deshalb um ein Exempel nicht herum, weil die Stimmen derer, die den Stabilitätspakt aushebeln möchten, eher lauter werden.... Zu groß sind immer wieder die Verlockungen für die Politik, mit neuen Krediten für neue Wohltaten Wähler einzufangen. Wer aber die Gegenwart auf Kosten der Zukunft gestaltet, dem muss rechtzeitig Einhalt geboten werden. Einige hundert Millionen Euro Strafe dürften reichen, um Lissabon zurück zum Pfad der soliden Staatsfinanzen zu führen."

Und in der WESTFALENPOST aus Hagen lesen wir:

"Noch gut in Erinnerung ist, wie sich Deutschland und Portugal gegen blaue Briefe aus Brüssel, der Frühwarnung also, gewehrt haben. Letztlich sind die Schreiben abgewehrt worden, um den Preis, dass jetzt in Defizit-bedrohten Ländern wie Frankreich und Italien einer weichen Auslegung der Kriterien das Wort geredet wird. So ist das Vorgehen gegen Portugal in der Tat ein Präzedenzfall für das Euroland."

Mit dem Rücktritt des Grünen-Politkers Özdemir beschäftigt sich die FRANKFURTER NEUE PRESSE:

"Cem Özdemir, der gern als 'anatolischer Schwabe' zu kokettieren pflegte, hat sich in der Frage der Zuwanderung mit moralischen Maßstäben weit aus dem Fenster gelehnt und den Begriff der 'deutschen Leitkultur' verdammt. Hätte er sich an den Kriterien preußischer Pflichterfüllung oder an der schwäbischen Leitkultur der Sparsamkeit orientiert, hätte er jetzt kein Problem... Während allerdings Scharping jegliches Unrechtsbewusstsein abging, er sich bis zuletzt für unersetzlich hielt, zieht der 'anatolische Schwabe' die Konsequenz und tritt ab."

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER zeugt Özdemir Respekt:

"Ohne zu übersehen, dass er die Regeln des politischen Anstands verletzt hat, kann man Özdemir nach allem, was bisher bekannt ist, den Respekt für seine Rücktrittsentscheidung und die Art ihrer Umsetzung nicht versagen. Er hat nicht etwa das beleidigte Unschuldslamm gespielt, sondern sich klar und deutlich zu seinen Fehlern bekannt."

Ganz anders die BERLINER ZEITUNG:

"Er kam überraschend, aber er ist richtig. Özdemir steht in der Schuld des Rüstungslobbyisten, auch wenn er den Kredit zurückgezahlt hat. Die Annahme des Darlehens war nicht einfach naiv, sondern sie beweist im hohen Maße politische Instinktlosigkeit. Das Vertrauen der Wähler war damit verspielt."

Die Umfrage-Ergebnisse für die rot-grüne Bundesregierung werden zunehmend düster. Der MANNHEIMER MORGEN kommentiert:

"Können SPD und Grüne noch einmal die Kraft aufbringen, die Wahl am 22. September für sich zu entscheiden? Es müsste ein kleines Wunder geschehen.... Rot-Grün, das Erfolgsmodell von 1998, droht zu einer Episode in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu werden. Nur Gerhard Schröder selbst könnte es noch schaffen, den Wechsel zu verhindern. Doch auch der Kanzler, auf den es angeblich immer ankommt, verliert an Strahlkraft. Ihm bleiben noch zwei Monate, um im direkten Duell mit Stoiber zu punkten. Allein, die Zeit läuft ihm davon."

Das sieht DIE WELT anders:

"Telekom-Kabalen, Scharping-Rauswurf, Umfragetief, die als Befreiungsschläge geplanten personalpolitischen Volten des Kanzlers schlagen auf ihn selbst zurück. Beide Manöver, folgt man jüngsten Umfragen, haben dem Wähler gar nicht gefallen. Und wie das bei einer Kanzlerpartei so ist, trifft der massive Ansehensverlust des Kanzlers seine Partei im gleichen Zuge. Prompt werden die Genossen unruhig. Und was macht Stoiber? Er hält die Hände schön ruhig, damit man die der anderen besser zittern sieht."