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Pressestimmen von Sonntag, 2. Januar 2005

Reinhard Kleber1. Januar 2005

Flutwellen-Katastrophe in Südasien / Präsidentenwahl in der Ukraine / Aufrufe zum Wahlboykott im Irak

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Die Flutwellen-Katastrophe nach dem Beben in Südasien beherrscht die Kommentare der internationalen Presse in dieser Woche. Außerdem setzen sich die Leitartikler mit der Präsidentenwahl in der Ukraine und den Boykottaufrufen zur Wahl im Irak auseinander.

Zur Flutkatastrophe in Asien meint die italienische Zeitung LA STAMPA:

"Warum erscheint uns diese Naturkatastrophe so anders als die anderen, warum bewegt sie uns so, während wir andere schreckliche Naturkatastrophen - wie etwa die Zehntausenden Toten der Erdbeben in der Türkei und im Iran - sofort vergessen haben? Der Grund ist nicht nur, dass sie eine geologische Ausnahmeerscheinung darstellt und auch nicht, dass sie eine unglaublich hohe Zahl von Opfern gefordert hat, sondern vor allem, dass sie einen der innovativsten Aspekte unseres modernen Lebensstils getroffen hat: Den eines globalen Tourismus, der sich über wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede hinwegsetzt."

Die spanische Zeitung LA VANGUARDIA nimmt die internationalen Hilfsanstrengungen in den Blick und betont:

"Die Welt steht vor der größten Hilfsoperation, die es jemals nach einer Naturkatastrophe gegeben hat. Die Verantwortlichen der Vereinten Nationen warnen vor der Gefahr, dass man auf Grund der riesigen Ausmaße des betroffenen Gebiets den Anforderungen einfach nicht nachkommen kann. Nie zuvor wurden die UN mit einer solchen Aufgabe konfrontiert. Es ist aber wichtig, dass in diesem Prozess jemand wirklich die Führung in die Hand nimmt. Die UN sollten das Kommando über die internationale Hilfsoperation an sich ziehen."

Angesichts der Welle der Hilfsbereitschaft merkt die österreichische Zeitung DIE PRESSE an:

"Wie lange wird das Mitgefühl anhalten? Eine Woche, zwei Wochen? Es sind Bilder, die jetzt allerorts die starken Emotionen wecken. Sie werden bald von neuen Bildern abgelöst werden. Ein Faktum in der bunten TV-Welt der geringen Aufmerksamkeitsspannen. Und das Gefühl globaler Solidarität? Es wird leider auch bald verblassen, wie in den Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September. Doch jetzt gilt es die Zeit zu nützen, in der sich die Herzen öffnen."

Der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz befasst sich mit den Lehren, die aus der Katastrophe zu ziehen sind:

"Sind all die Toten der Schlamperei zum Opfer gefallen? Nein. Die Wassermassen haben Drittweltländer am schwersten verwüstet, die normalerweise mit anderen Sorgen zu kämpfen haben. Das Geld, um sich vor allen Eventualitäten zu schützen, fehlt. Ein funktionierendes Alarmsystem hätte vielleicht die gut erschlossenen Touristengebiete vor dem Schlimmsten bewahrt. In den Armenvierteln und Fischerdörfern ohne Zahl, die von den Wassermassen mitgerissen wurden, fehlte es jedoch an der nötigen Infrastruktur. Es verbietet sich, angesichts der europäischen Opfer mit dem Zeigefinger auf die asiatischen Regierungen zu zeigen."

Skeptischer zeigt sich die belgische Zeitung DE MORGEN, wenn es um die Konsequenzen geht:

"Die erste Lektion heißt Bescheidenheit. Wir können über die ganze Welt seismologische Messzentren errichten und die Erde rund um die Uhr aus dem Weltall mit Dutzenden Satelliten durchleuchten, mit unserer Wissenschaft werden wir die Natur nie kontrollieren. Nie. Nichts ist garantiert, auch nicht der Boden, auf dem wir stehen, alles kann geschehen, auch das Allerschlimmste, (...)"

Die britische Zeitung THE DAILY TELEGRAPH mahnt zu einer nüchternen Analysse und verteidigt Touristen, die ihren Urlaub an den Stränden in den Katastrophengebieten Südasiens fortsetzen:

"Die instabile Wirtschaft Südostasiens wird ohne die Pfund-, Euro- und Dollarscheine der Touristen nicht wieder aufblühen. Wir rufen deshalb unsere Leser nicht nur dazu auf, großzügig zu spenden, sondern auch dazu, einen raschen Besuch in so faszinierenden und schönen Ländern wie Thailand, Sri Lanka und Indonesien nicht von vornherein auszuschließen: nicht nur zu ihrem eigenen Vergnügen, sondern auch im langfristigen Interesse der örtlichen Bevölkerung, die so sehr gelitten hat."

Nun zur Ukraine: Die französische Zeitung LE FIGARO schreibt zur dortigen Präsidentenwahl:

"Wenn es eine Wahl gibt, die es verdient, historisch genannt zu werden, dann ist es die von Viktor Juschtschenko. Der neue Präsident der Ukraine hat nicht nur einen Vergiftungsversuch überlebt, er ist zu einem Löwen geworden. Die Ukrainer haben nicht nur einen Kandidaten gewählt, sie haben die Demokratie ins Amt gesetzt. Es stimmt dabei aber nicht, dass dieses Land gespalten ist, mit einer Mehrheit aufgeklärter und westlich orientierter Katholiken, die von einer EU-Mitgliedschaft träumen, und einer immer noch an Russland ausgerichteten slawophilen Minderheit. In Wirklichkeit standen in dem Kampf der vergangenen Monate auf der einen Seite eine Mafia, die um ihre Beute fürchtete, und auf der anderen Seite eine neue politische Klasse, die das Land an den Kriterien des Westens auszurichten versucht."

Die österreichische Zeitung DER STANDARD beleuchtet dagegen die Rolle der Europäischen Union bei dieser wichtigen Wahl:

"Für die EU war die Vermittlungstätigkeit auf dem Höhepunkt der ukrainischen Staatskrise der erste große Erfolg als 'sanfte Großmacht'. Als solche eignet sie sich nämlich nicht zum Feindbild in einem neuen Kalten Krieg, weil sie Einkreisungs- und Verschwörungstheorien keine Anhaltungspunkte liefert. Jetzt geht es darum, diese konstruktive Basis zu vertiefen und zu erweitern: mit einer klaren Integrationsperspektive für die Ukraine und einer deutlichen Sprache gegenüber Russland, die von einer ausgestreckten Hand begleitet ist."

Stichwort Russland: Die Moskauer ZEITUNG RUSSKI KURJER deutet den Wahlsieg von Oppositionsführer Viktor Juschtschenko als verdiente Niederlage der Politikberater der russischen Regierung:

"Der Kreml stellte die Aufgabe, das Regime Kutschmas und seines Stabschefs Viktor Medwetschuk zu erhalten, und mit Janukowitsch als Sichtschutz versuchten die Berater dies Ziel mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln zu erreichen. Dabei ignorierten sie die wichtigste Frage der ukrainischen Politik und der Wähler: Wie soll die Staatsmacht in der Ukraine künftig aussehen? So abgeschottet und korrumpiert wie unter Kutschma? Oder doch offen und demokratisch, wie sie vielleicht unter der Opposition sein wird? Diese Fragen haben nur die nicht gehört, die sie absichtlich überhören wollten."

Das britische Blatt THE TIMES hebt vor allem das enge Verhältnis zwischen den beiden Nachbarländern hervor:

"Dreizehn Jahre nach der Loslösung aus den Krallen des Sowjet-Imperialismus ist die Scheidung zwischen Russland und der Ukraine abgeschlossen. Es wird schwierig werden, Russland mit der neuen Ukraine zu versöhnen. Aber die beiden Länder sind voneinander abhängig - eine Tatsache, die zu einer Quelle der Stabilität werden sollte. Der Wahlsieger Viktor Juschtschenko hat die historische Chance, Russland zu beweisen, dass es von der Ausdehnung westlicher Institutionen auf den Osten nichts zu befürchten hat."

Zum Schluss wenden wir uns den Wahlaussichten im Irak zu. Das russische Blatt KOMERSANT bewertet sie als düster und meint weiter:

"Falls die Wahlen stattfinden, werden die Schiiten siegen, denn sie sind in der Mehrheit. Dann wird die schiitische Geistlichkeit das Sagen haben, und die Gefahr wächst, dass der demokratische Prozess im Irak ein theokratisches Regime hervorbringt, das den USA, den Andersgläubigen und der Demokratie feindlich ist. Die unterlegene Minderheit wird sich nicht abfinden und ständig darauf verweisen, dass die Vorbereitungen auf die Wahl von Gewalt überschattet war. Die zwangsläufige Verschärfung der Lage durch die Wahl spielt dem irakischen Widerstand in die Hände, der die Waffen erst niederlegen will, wenn die Besatzer vertrieben sind. Die aber werden nicht gehen, bevor es im Irak nicht wenigstens irgendeinen Frieden gibt. Es ist ein Teufelskreis."

Auch die italienische Zeitung LA REPUBBLICA sieht wachsende Schwierigkeiten für die geplante Wahl und verweist dazu auf den Terroristenführer Osama bin Laden:

"Mit seiner neuesten Botschaft setzt Osama bin Laden sein Siegel unter die Wahlen im Irak. Der Führer von El Kaida fordert dazu auf, den Urnengang am 30. Januar zu boykottieren. Der Schritt war politisch und ideologisch vorhersehbar. (...) Doch nunmehr sind die Probleme mit der Wahlen noch komplizierter geworden: Nach der Botschaft Bin Ladens sind die Wahlen auch zu einer 'Frage El Kaida' geworden."