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Prima Klima bei der EU?

Bernd Riegert, Brüssel24. Oktober 2014

40 Prozent ist die magische Zahl. Soweit soll Europas Treibhausgasausstoß schrumpfen. Als erste Weltregion schreibt die EU ihr Klimaziel vor der großen UN-Konferenz zum Klima im Jahr 2015 fest. Ein Beispiel für andere?

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Thermometer (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Am Ende machte - wie so oft bei EU-Gipfeln in Brüssel - die Müdigkeit die Staats- und Regierungschefs nach zehn Stunden Dauersitzung mürbe. EU-Diplomaten, die die Verhandlungen zur Klima-Politik im obersten Stockwerk des Ratsgebäudes beobachten konnten, berichteten, dass nach einigen Durchhängern schließlich der Wille gesiegt hat, den monatelangen Streit um die Klimaschutz-Ziele beizulegen und der Öffentlichkeit in Europa Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Herausgekommen ist bei der Marathonsitzung ein komplexer Kompromiss. Die wesentlichen Elemente fasste der scheidende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy zusammen, der seine fünfjährige Amtszeit noch mit einem richtungsweisenden Beschluss beenden kann: 40 Prozent Reduzierung der Treibhausgase bis 2030. 27 Prozent Anteil erneuerbarer Energie und 27 Prozent höhere Energieeffizienz. "Das war nicht einfach", so Van Rompuy, "aber das ist ein ambitionierter, fairer und kosteneffizienter Abschluss".

Gruppenfoto beim EU-Gipfel in Brüssel (Foto: Getty Images)
Als Abschiedsgeschenk ein echtes Familienfoto: Scheidender EU-Ratspräsident Van Rompuy mit seinen EnkelnBild: Carl Court/Getty Images

Polen setzt Ausnahmen durch

Der polnischen Premierministerin Ewa Kopaczk fiel beim Gipfel in Brüssel eine Schlüsselrolle zu. Kopacz, erst seit wenigen Wochen Regierungschefin in Warschau, drohte mit einem Veto gegen die Klimaschutz-Ziele. Sie war zwar mit dem Ziel einverstanden, 40 Prozent an klimaschädlichen Abgasen bis zum Jahr 2030 einzusparen. Aber ein Anteil von 30 Prozent von erneuerbaren Quellen an der Energieerzeugung war ihr zu hoch. Ebenso bestand sie darauf, dass die Sparvorgabe für effizientere Energienutzung ebenfalls unter den ursprünglich vorgeschlagenen 30 Prozent liegen sollten. Am wichtigsten war der Polin aber, dass die Kohlekraftwerke in ihrem Land weiter laufen und mit Milliardenhilfen durch die anderen EU-Staaten modernisiert werden können. Polen erzeugt 90 Prozent des Stroms aus Stein- und Braunkohle.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande, denen an ehrgeizigen Klimaschutz-Vorgaben gelegen ist, nahmen Ewa Kopacz in kleiner Runde ins Gebet. Sie standen ihr die gewünschten Hilfen zu, die über Ausnahmen und Zuschüsse beim Handel mit Emissionsrechten gewährt werden sollen. Jeder der 28 EU-Mitgliedsstaaten muss einen unterschiedlichen Anteil zum Gesamtziel von 40 Prozent Reduktion der Treibhausgase leisten, je nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Zustand seines Energiesektors. Die jüngeren östlichen Mitgliedsländer werden weniger belastet als die alten im Westen.

Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel (Foto: Getty Images)
Bundeskanzlerin Merkel: "Deuschland wird mit den europäischen Vorgaben keine Mühe haben"Bild: Carl Court/Getty Images

Großbritannien leistet Widerstand gegen verbindliche Ziele

Nur ganz im Westen hat der EU-Skeptiker David Cameron eine weitere Forderung durchgesetzt. Der britische Premier bestand darauf, dass ein Teil der Klimaschutz-Ziele nicht rechtlich verbindlich festgeschrieben wird. Jedes Land soll selbst entscheiden, welche Arten der Energieerzeugung es einsetzt und wie viel Klimaschutz durch das Einsparen von Strom, Gas und Öl erreicht werden kann.

Die Staaten, die eigentlich mehr und verbindliche Vorgaben durchsetzen wollten, wie etwa Schweden, schluckten am Ende die Kröte, damit überhaupt eine Einigung zustande kommen konnte, so ein EU-Diplomat nach der Sitzung. Die Feinheiten des politischen Kompromisses müssen jetzt noch ausgehandelt werden. Eine Umsetzung in verbindliches EU-Recht steht auch noch aus. Die EU-Staaten vereinbarten außerdem, ihre grenz-überschreitenden Energienetze bei Gas und Strom weiter auszubauen.

Infografik Globale Meeres-und Erdoberflächen-Temperaturanomalien von 1881 - 2014 in °C

Von Kyoto nach Paris

Der französische Präsident Hollande hatte zu Beginn der langen Gipfelnacht gesagt, Europa müsse anderen Weltregionen ein Beispiel geben, die beim Klimaschutz noch nicht so weit seien. "Wir müssen die Chinesen und die Amerikaner überzeugen." China und Amerika sind die beiden größten Emittenten von klimaschädlichen Gasen weltweit. Europa stößt nur zehn Prozent der Treibhausgase aus, so die EU-Kommission.

Hollande kommt es vor allem auf einen Erfolg der Weltklima-Konferenz der Vereinten Nationen in Paris im Herbst 2015 an. Dort soll ein neuer Klimaschutz-Vertrag ausgehandelt werden, der das 1997 vereinbarte und inzwischen recht durchlöcherte "Kyoto-Protokoll" ablösen kann. Die USA hatten das Kyoto-Protokoll, das eine Reduzierung der klimaschädlichen Gase um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 vorsieht, nie ratifiziert. China trat dem Protokoll erst nach langer Verzögerung bei. "Mit unserem Beschluss bleiben wir an der Spitze der Bewegung", freute sich EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso.

Grüne kritisieren die Klimaziele

Das Europäische Parlament, das bei der Klima-Politik auch ein Wörtchen mitzureden hat, fordert von den Staats- und Regierungschefs, die vorgeschlagenen Ziele verbindlich zu machen. Die Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, sagte gegenüber der Deutschen Welle, von dieser Forderung entfernten sich die Mitgliedsstaaten immer weiter. "Der Abschied nicht nur von ehrgeizigen Zielen, sondern auch noch von der Verbindlichkeit dieser Ziele, bedeutet, dass wir eigentlich überhaupt keine profilierte europäische Klimapolitik mehr haben. Unsere Ziele sind inzwischen so schwach, dass das 2-Grad-Ziel eindeutig aufgegeben wird", so Rebecca Harms. Die Vereinten Nationen wollen den Anstieg der Erdtemperatur auf zwei Grad Celsius begrenzen.

Konservative wollen Klimaschutz und Industrie versöhnen

Europäische Industrieverbände und Energie-intensive Branchen wie die Stahlindustrie fürchten, dass zu scharfe Klima-Ziele die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Weltregionen schmälern würden. Industriebetriebe könnten aus Europa in andere Regionen abwandern. Der Chef der christdemokratischen Fraktion im Europa-Parlament, Manfred Weber, will auf die Interessen der Wirtschaft mehr Rücksicht nehmen. "Wir brauchen einen ambitionierten Ansatz der Europäischen Union, aber wir brauchen auch eine intensivere Debatte in der EU, damit wir diese Klimaziele auch in Einklang bringen mit unseren Wachstumszielen."

Kraftwerk Belchatow (Foto: AFP)
Das Kohle-Kraftwerk Belchatow in Polen: eines der größten der WeltBild: Darek Redos/AFP/Getty Images

Nach sieben Jahren der Wirtschaftskrise im Euro-Raum argumentieren viele Staats- und Regierungschefs beim Gipfel, dass Wirtschaftswachstum vor Klimaschutz gehen müsse. Umweltverbände halten dagegen, dass gerade Investitionen in Klimaschutz und neue Energieträger auch Arbeitsplätze schaffen und Exportchancen auf dem Weltmarkt eröffnen würden. Auch die EU-Kommission glaubt, dass durch verstärkten Klimaschutz mindestens 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen würden. Bis zum Jahr 2050 will die EU-Kommission den Ausstoß von schädlichen Gasen sogar um 80 Prozent reduzieren.

Ebola-Koordinator ernannt

Christos Stylianides (Foto: picture alliance)
EU-Kommissar für Ebola: Christos StylianidesBild: imago/Xinhua

Während beim Klima lange gefeilscht wurde, einigten sich die Staats- und Regierungschefs relativ schnell auf eine Personalie. Der künftige EU-Kommissar für humanitäre Hilfe wird auch Sonderbeauftragter der EU für die Eindämmung der Seuche Ebola in Westafrika. Der aus Zypern stammende Christos Stylianides soll die Hilfen der 28 Mitgliedsstaaten besser koordinieren. Insgesamt haben die EU-Kommission und etliche Mitgliedsstaaten rund 618 Millionen Euro für die Ebola-Bekämpfung zugesagt. Ein Teil davon ist als direkte Haushaltshilfe an die betroffenen Staaten in Westafrika geflossen. In Europa sollen nun eilends Pfleger und Ärzte für den Umgang mit Ebola-Patienten ausgebildet und in Seuchengebiete geschickt werden.

Der britische Premierminister Cameron forderte die übrigen Regierungschefs auf, mehr Mittel für die Ebola-Eindämmung bereitzustellen. Großbritannien stellt mit rund 150 Millionen Euro das meiste Geld zur Verfügung, gefolgt von Deutschland. Man brauche eine Milliarde Euro, behauptete Cameron. Allerdings verweisen Fachleute der EU darauf, dass eigentlich genug Geld da sei. Es fehlten vor allem Personal und Isolierstationen vor Ort. "Wir machen einen Wettlauf gegen die Uhr", sagte der scheidende EU-Kommissionspräsident Barroso. Die EU sei endlich aufgewacht, nachdem sie zu lange zu wenig getan habe.