1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Beide Seiten müssen gehört werden"

10. August 2010

Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, erwartet von der UN-Kommission eine ausgewogene Untersuchung. Israels Fehler sei die längst überholte Blockade, sagt Primor im Interview mit DW-WORLD.DE.

https://p.dw.com/p/Ogg2
Avi Primor (Foto: dpa)
Von 1993 bis 1999 Botschafter Israels in Deutschland: Avi PrimorBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

DW-WORLD.DE: Die israelische Regierung hat der UN-Untersuchung zur Militäraktion gegen die Gaza-Flottille erst in der vergangenen Woche nach langem Hin und Her zugestimmt. Jetzt heißt es, israelische Soldaten dürften nicht befragt werden. Das klingt, als wolle die israelische Regierung eigentlich nicht mit dem Ausschuss kooperieren.

Avi Primor: Eine große Begeisterung über diesen Ausschuss gibt es in Israel natürlich nicht. Kein Land akzeptiert freiwillig, dass sich die internationale Gemeinschaft in interne Fragen einmischt, besonders wenn es um Fragen der Sicherheit und der Streitkräfte geht, also die empfindlichsten Dinge, für Israel ganz besonders. Da will man keine ausländische Einmischung haben, aber man hat dem zugestimmt nach Druck nicht nur aber vor allem von den USA. Und man dachte, weil man so viel an internationalem Ansehen verloren hat, muss man irgendwo nachgeben. Man macht das aber ganz klar widerwillig.

Der israelische Ministerpräsdident Netanjahu hat noch am gestrigen Montag (09.08.2010) bei der Befragung durch den nationalen Untersuchungsausschuss gesagt, die Soldaten hätten sich selbst verteidigt. Warum dürfen sie jetzt nicht befragt werden?

Weil man die Soldaten nicht aussetzen will. Wenn man sie der Befragung aussetzt, so behauptet die Armee, werden sich die Soldaten nicht mehr trauen richtig zu kämpfen, da sie immer ein Verhör befürchten müssen; und nicht nur in Israel sondern international. Sie müssten Angst haben, ins Ausland zu reisen.

Aus Regierungskreisen heißt es jetzt, mit UN-Generalsekretär sei im Vorfeld vereinbart worden, dass israelische Soldaten nicht befragt werden dürften. Ban bestreitet das. Ist das nicht auch ein Vorführen des Generalsekretärs und der Vereinten Nationen?

Diese Sache ist unklar. Ich glaube, dass es wie so oft Vereinbarungen gab, die nicht vollkommen eindeutig waren. Sie werden von verschiedenen Seiten unterschiedlich interpretiert. Das hier ist ein typischer Fall. Jede Seite hat ihre Interpretation dessen, was eigentlich vereinbart war. Die Regierung behauptet, sie würde Sprecher der Armee vor dem UN-Ausschuss aussagen lassen, aber nicht die Soldaten, die der Ausschuss selber ausklauben wird.

Kritiker sagen, die israelische Regierung habe dem Ausschuss nur zugestimmt, weil ihm der ehemalige neuseeländische Premier Palmer und Kolumbiens Ex-Präsident Uribe vorsitzen. Beide gelten als Israel-freundlich. Wie sehen Sie das?

Wer ist der Richter Goldstone, der den UN-Untersuchungs-Ausschuss zum Gaza-Krieg geführt hat? Nicht nur ein Jude, der sich ganz offen zu seinem Judentum bekennt. Er war auch ein ausgesprochener Zionist und Anhänger Israels. Also das reicht nicht aus. Der Mann sieht die Sachen anders, als die Israelis sie sehen und dann sagt er seine Meinung, auch wenn es nicht genau seiner Ideologie entspricht.

Álvaro Uribe, erst vor wenigen Tagen als Präsident Kolumbiens aus dem Amt geschieden, ist wegen seiner Menschenrechtspolitik alles andere als unumstritten. Wieso wird gerade Uribe Vorsitzender einer solchen Kommission?

Wenn Sie solche Fragen stellen, dann können Sie mit der UNO überhaupt nicht zusammenarbeiten. Nehmen Sie die UN-Menschenrechtskommission in Genf. Wer sitzt da? Länder wie Lybien, Pakistan, manche arabische Länder sind Mitglieder dieser Kommission, Israel nicht. Die sollen unsere Richter sein? Aber das ist eben die UNO, die besteht aus allen Staaten, auch Staaten, die nicht die Menschenrechte respektieren.

Was erwarten Sie denn von der UN-Kommission, welche Ergebnisse?

Ich erwarte eines: Dass sie beide Seiten anhört und nicht einseitig bleibt. Ich halte diese ganze Geschichte mit der 'Solidaritäts-Flotte' für einen Grundfehler von Israel, insofern als die Belagerung des Gaza-Streifens der Fehler ist, ein gravierender Fehler. Wenn überhaupt, hat die Blockade vor ein paar Jahren irgendeinen Sinn gehabt. Das ist schon längst überholt. Und nach den Vorfällen des 31. Mai hat die Regierung gesagt, dass die Blockade überholt sei. Warum hat sie das nicht vorher getan? Da liegt der große Fehler Israels.

Am 15. August jährt sich zum fünften Mal der Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen. Glauben Sie, dass mit der jetzigen Regierung auch eine vollständige Aufhebung der Blockade möglich ist?

Das glaube ich nicht. Denn mehr noch als die israelische Regierung ist die palästinensische Regierung in Ramallah an der Blockade interessiert. Für sie ist die im Gaza-Steifen regierende Hamas ein tödlicher Feind. Zugleich fürchtet die ägyptische Regierung, dass die Hamas, also die Fundamentalisten im Gaza-Streifen Einfluss auf die ägyptische Bevölkerung nehmen könnten. Es gibt ja die Muslim-Bruderschaften, die ägyptischen Fundamentalisten, die bereits mit der Hamas verbündet sind. Darin besteht eine große Gefahr für die ägyptische Regierung. Unsere Beziehungen zu Ägypten und der Regierung in Ramallah sind für uns sehr, sehr wichtig. Abgesehen davon, dass auch wir vor dem Gaza-Streifen Angst haben - nicht vor der Bevölkerung, aber weil es dort ein Netz von Terroristen gibt, mit der fundamentalistischen Hamas an der Macht. Also von all diesen Seiten sehe ich nicht, wie man die Belagerung aufheben kann.

Avi Primor, geboren 1935 in Tel Aviv, war langjähriger israelischer Botschafter in Deutschland. 1999 schied er aus dem diplomatischen Dienst. Seitdem widmet sich Primor als Publizist und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Europastudien der Universität Herzliya dem Friedensprozess im Nahen Osten.

Das Gespräch führte Ina Rottscheidt

Redaktion: Sven Töniges