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Politik

"Kohl hat Israel Vorrang gegeben"

Diana Hodali
17. Juni 2017

In Kohls ersten Jahren als Kanzler kam es oft zu Missverständnissen zwischen Deutschland und Israel - besonders bei seinem Besuch. Das habe sich aber sehr gewandelt, sagt der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor.

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Helmuth Kohl Kranzniederlegung vor Knesset in Jerusalem 1984
Bild: Imago

Deutsche Welle: Nach Willy Brandts Israel-Reise im Jahr 1973 besuchte mit Helmut Kohl im Januar 1984 zum zweiten Mal ein Bundeskanzler Israel. Die Visite stand unter denkbar ungünstigen Vorzeichen. Die Beziehung zwischen den beiden Regierungen war seit einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Helmut Schmidt und Menachem Begin im Jahr 1981 sehr angespannt. Wie würden Sie die Ära Kohl im Verhältnis zwischen Israel und Deutschland beschreiben?

Avi Primor: Es gab eine heftige Diskussion zwischen Helmut Kohls Vorgänger und Begin, das stimmt. Aber nicht zwischen Deutschland und Israel. Die Beziehungen waren nicht schlecht. Sie haben ja bereits ein Jahr bevor Menachem Begin 1977 Ministerpräsident wurde begonnen. Was Helmut Kohl angeht: Es war ein schwieriger Anfang. Es gab ziemlich viele Missverständnisse zu Beginn. Auf beiden Seiten gab es viele Hemmungen. Aber dann haben sich die Beziehungen so gut entwickelt wie nie zuvor zwischen Deutschland und Israel.

Dann war also die Ära Kohl sehr prägend für das heute sehr enge Verhältnis zwischen Deutschland und Israel.

Diese Zeit gilt in Israel als eine glückliche Ära. Diese Jahre haben die Beziehungen selbstverständlich gemacht. Natürlich gab es Hemmungen und manchmal auch Probleme. Aber das Verhältnis wurde normal - zumindest für Israel.

Avi Primor Oktober 2013
Avi Primor - ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland Bild: picture-alliance/dpa

Bei seinem Besuch 1984 machte Kohl folgende Äußerung im israelischen Parlament: "Ich spreche zu Ihnen als jemand, der in der Nazi-Zeit nicht in Schuld geraten konnte, weil er die Gnade der späten Geburt und das Glück eines besonderen Elternhauses gehabt hat." Für diese Satz wurde er häufig kritisiert. Wie haben Sie diese Äußerung damals empfunden?

Es ist nicht gut, genau mir diese Frage zu stellen, weil ich damals komplett gegen Beziehungen zu Deutschland war. Ich wollte keine Verbindung zu Deutschland haben und galt damals als Extremist in Israel im Bezug auf dieses Thema. Ich habe mich natürlich total gewandelt. Das, was der Bundeskanzler gesagt hat, war gut gemeint, in Israel hat man es falsch verstanden und es ist nicht gut angekommen. Es war aber nicht nur diese Äußerung, der gesamte Besuch war nicht sehr erfolgreich.

Die israelische wie auch die deutsche Presse sprach vom unsensiblen Verhalten des Kanzlers und von den vielen Fettnäpfchen, in die er trat. Ein Jahr darauf trat Kohl in einen weit größeren Fettnapf, als er darauf bestand, trotz lautstarker Proteste jüdischer Organisationen gemeinsam mit dem amerikanischen Präsidenten Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg mit SS-Gräbern zu besuchen. Wie sehr hat das die israelische Bevölkerung verletzt?

Dieser Besuch Kohls auf dem Friedhof wurde gar nicht gut aufgenommen. Es sah so aus, als würde Kohl Nazi-Verbrecher begnadigen - Dinge, die man in Israel nicht verstehen konnte, nicht verstehen wollte. Das waren die ersten Jahre Kohls, die in Bezug auf Israel nicht sehr gelungen waren. Das hat sich geändert. Insgesamt hat das Verhältnis schwer begonnen, aber es hat sich dann ganz wundervoll entwickelt. Und es hat sich dank Kohl auch sachlich entwickelt.

Was hat Kohl denn aktiv zum guten Verhältnis zu Israel beigetragen?

Helmut Kohl hat Israel immer Vorrang gegeben. Er hat Israel sehr geschätzt. Er fand, Israel sei ein positives Land, ein Glücksfall für Deutschland in Sachen Wissenschaft und Forschung. Eigentlich galt das für viele Bereiche. Wir kooperieren heute dank Kohl in Sachen Wissenschaft und Forschung - noch mehr als mit den USA.

Helmut Kohl ist der Kanzler der Wiedervereinigung. Sein Auftritt am 19. Dezember 1989 in Dresden war ein Balanceakt: Er durfte die Hoffnung seiner Zuhörer nach der Wiedervereinigung nicht enttäuschen und gleichzeitig die Alliierten nicht brüskieren. Und das ist ihm gelungen. Wie vertrauenswürdig war Kohl zu diesem Zeitpunkt in Jerusalem?

Damals war man nicht nur argwöhnisch in Israel, sondern auch ängstlich. Man dachte, und das auch weltweit, dass Deutschland wieder eine aggressive Großmacht werden will oder wird. Unter Kohl hatten wir unverhofft gute Beziehungen zu Deutschland entwickelt und jetzt sollte ein neues, ehrgeiziges Deutschland hinzukommen, an dem auch die Kommunisten teilnehmen sollten, die bis dahin die größten Feinde Israels in Europa waren. Man fragte sich in Israel, wie sich die Beziehungen verändern werden. Wir haben damals aber gar nicht verstanden, was die DDR war und was die Bürger wirklich anstrebten.

Sie waren israelischer Botschafter in der Zeit, in der Helmut Kohl Kanzler war. Wie haben Sie ihn erlebt?

Unmittelbar nach meiner Ankunft 1993 in Deutschland hat er mich empfangen - und seitdem war die Tür für mich immer offen. Und das lag nicht daran, dass ich Avi Primor bin, sondern weil ich israelischer Botschafter war. Er hat ein besonderes Verhältnis zu Israel gehabt und das hat er mir als Botschafter auch gezeigt. Ich war 1995 auch mit ihm zusammen in Israel - und das war ein sehr erfolgreicher Besuch, für beide Seiten.

Was war denn an dieser Reise so besonders?

Abgesehen von den Themen, die wir miteinander besprochen haben, um die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel zu entwickeln, gab es im Vorfeld Verstimmungen zwischen Kohl und Jitzchak Rabin. Allerdings aufgrund eines Fehlers, den Rabin gemacht hat, wie ich finde. Aber Rabin hat das auch eingestanden.

Und was war passiert?

Wir in Israel hatten die Bundesrepublik um Hilfe gebeten, weil im Iran ein israelischer Soldat verschollen war. Rabin hat den Deutschen dann vorgeworfen, sie hätten diese Angelegenheit dazu genutzt, um Beziehungen zum Iran zu entwickeln und davon zu profitieren. Das war wirklich falsch. Helmut Kohl war persönlich beleidigt und er wollte zuerst auch nicht nach Israel fliegen. Rabin hat verstanden, dass er einen Fehler gemacht hat. Er bat mich um Rat. Ich habe ihm ans Herz gelegt, er solle extra nach Bonn kommen, um mit Kohl zu sprechen. Er fragte mich, ob Kohl das denn akzeptieren würde, wenn er zwar käme, sich aber nicht entschuldige. Ich konnte ja auch nicht für Kohl sprechen, aber ich habe den Bundeskanzler damals so eingeschätzt, dass für ihn die Geste zählen wird. Und genau so war es. Rabin kam für ein Abendessen. Dieser Abend hat eine ungeahnte Freundschaft zwischen Rabin und Kohl entfacht. Das Eis war gebrochen - und zwar ganz unverhofft. Leider nur für eine kurze Zeit, weil Rabin Ende 1995 ermordet wurde.

Avi Primor war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland. Er ist Vorsitzender der Israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Das Gespräch führte Diana Hodali.