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"Pro Asyl"-Gründer Micksch hört auf

Nicolas Martin8. September 2012

Jürgen Micksch ist die deutsche Stimme der Flüchtlinge. Mit seinem Verein "Pro Asyl" hat er 26 Jahre die Flüchtlingsdebatte geprägt. Jetzt übergibt der 71-Jährige den Vorsitz an die nächste Generation.

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Jürgen Micksch, der Gründer von Pro Asyl (Foto: dpa)
Jürgen Micksch Pro AsylBild: picture-alliance/dpa

"Deutschland ist in der Flüchtlingspolitik in Europa immer sehr restriktiv gewesen und ist es bis heute." Mit solchen Worten hat Jürgen Micksch häufig versucht die Politiker wachzurütteln und für einen besseren Umgang mit politisch Verfolgten geworben. Micksch, geboren in Breslau, flüchtete mit seinen Eltern 1945 vor den Truppen der Roten Armee von Schlesien nach Bayern, als er vier Jahre alt war: "Als ich angefangen habe, mich mit der Flüchtlingsproblematik zu befassen, war das aber alles nicht präsent", erzählt der heute 71-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Der Verein "Pro Asyl" ist seine Erfindung. Seit der Gründung vor 26 Jahren stand er an dessen Spitze und koordinierte die Aktivitäten des Vereins. Am 8. September hat er seinen Posten als Vorsitzender des Vereins geräumt und Platz für einen Jüngeren gemacht. In der Zukunft wird Andreas Lipsch die Vereinsgeschäfte führen. Micksch schaut auf viele Höhen und Tiefen zurück. Schon die Geburtsstunde des Vereins 1986 war keine einfache Zeit: "Die Reaktionen waren sehr zurückhaltend, sehr ablehnend und unsere Arbeit wurde in der Gesellschaft überhaupt nicht beachtet".

Doch das Flüchtlingsthema sei ihm in dieser "rassistisch aufgeheizten Zeit" zu wichtig gewesen. Er machte weiter und suchte den Kontakt zur Politik: "Ich erinnere mich, dass uns damals das Bundesinnenministerium sagte: 'Wir arbeiten doch nicht mit Feinden zusammen.'" Heute hat der Verein "Pro Asyl" 25 Mitarbeiter, die recherchieren, Missstände dokumentieren, Lobbyarbeit betreiben und Rechtsberatung anbieten. Rund 15.000 Förderer tragen den Verein, der dadurch vollkommen unabhängig ist.

Demonstranten halten ein Plakat. Damit fordern sie die Abschaffung des bisherigen Asylbewerberleistungsgsgesetzes. (Foto: dapd)
Demonstration von Pro AsylBild: dapd

Von der Bühne zum Flüchtlingsanwalt

Micksch hätte auch Schauspieler oder Konditor werden können. Konditor, weil er seinem Vater bei der täglichen Arbeit in einer der vielen Konditoreien der Familie über die Schulter schauen konnte. Und Schauspieler, weil er schon als Kind auf der Bühne und vor der Kamera stand. In Jugendjahren spielte Micksch sogar mit Ingrid Bergmann im Film "Angst". Doch der Mann mit der warmen Stimme entschied sich anders: Er studierte Theologie und Philosophie und machte schließlich noch einen Doktor in Soziologie. "Während des Studiums habe ich mich vor allem für Friedensfragen und Armut interessiert", sagte Micksch. Bei der evangelischen Kirche arbeitete er dann als Ausländerreferent und sorgte 1980 für eine kontroverse Debatte in der deutschen Gesellschaft, als er die These aufstellte: "Die Bundesrepublik ist zu einer multikulturellen Gesellschaft geworden." Nur wenige Jahre später erfolgte die Gründung von Pro Asyl.

Harte Rückschläge

Lobbyisten für Flüchtlinge sind nicht gerade erfolgsverwöhnt. Die Liste der Niederlagen ist lang. Mit dem Zusammenbruch des sogenannten Ostblocks und dem Bürgerkrieg in Jugoslawien nahm die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland sprunghaft zu. 1992 beschloss der Bundestag die Ergänzung des Grundgesetz-Artikels, der das Asylrecht regelt. Dadurch wurde es für Flüchtlinge schwieriger, Asyl zu beantragen. Die staatlichen Leistungen des Staates wurden gekürzt. Asylbewerber waren schlechter gestellt als Langzeitarbeitslose. Das sei für ihn "die schlimmste Entwicklung mit ganz langen und heftigen Debatten" gewesen, erzählt Micksch.

Asylbewerber im Wohnheim der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (Foto: Patrick Pleul)
Warten auf das Bleiberecht - Asylbewerber in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Zu den Instrumenten des Staates gehören seitdem Arbeitsverbote für Flüchtlinge, die dann oft monatelang in Heimen untergebracht sind, außerdem sogenannte Bleibepapiere, die häufig nur monats- oder sogar wochenweise verlängert werden und eine normale Lebensplanung unmöglich machen. Auch die Abschiebung von in Deutschland geborenen Kindern mit ihren ausländischen Eltern zurück in die Heimatländer kann "Pro Asyl" trotz Rechtsberatung und Kampagnen nicht aufhalten.

"Falsch verhalten"

Trotzdem hat sich der Verein mittlerweile politisches Ansehen erkämpft: "Wir werden eingeladen zu Anhörungen des Bundestages und des Bundesverfassungsgerichts." Nach seinem Abschied wird es Jürgen Micksch nicht langweilig werden. Als Vorsitzender des Interkulturellen Rates, des Abrahmischen Forums und des Deutschen Islamforums wird er sich vor allem dem interkulturellen Dialog widmen.

Rund 200 Flüchtlinge sitzen am Strand von Kato Zacro auf der griechischen Insel Kreta (Foto: dpa)
Gefasste Flüchtlinge in Griechenland.Bild: picture-alliance/dpa

Auf sein Konto gehen aber weitere Erfolge: Seit Ende des vergangenen Jahres verbietet es der Europäische Gerichtshof (EuGH), Flüchtlinge wieder zurück nach Griechenland zu schicken. Denn dort sind die Flüchtlingslager überfüllt, weil mittlerweile mehr als 90 Prozent der Flüchtlinge über Griechenland in die EU kommen. Deswegen entschied der EuGH nun: Es ist unmenschlich, in anderen europäischen Ländern gefasste "illegale Einwanderer" wieder dorthin abzuschieben. "Pro Asyl" war durch seinen Einsatz wesentlich an dem Urteil beteiligt.

Im Juli entschied zudem das deutsche Bundesverfassungsgericht, dass Asylbewerber vorläufig mehr Geld bekommen sollen, weil die bisherigen Leistungen gegen das Grundgesetz verstoßen. Für Micksch ein klares Indiz, dass sich der Wind gedreht hat: "Ich glaube, dass in großen Teilen der Gesellschaft doch ein Nachdenken beginnt und sich auch im politischen Bereich eine Erkenntnis durchsetzt, dass man sich gegenüber den Flüchtlingen falsch verhalten hat."