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Pro: Wahlpflicht - warum nicht?

12. Juni 2009
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Themenbild Pro und Contra
Was tun gegen Wahlmüdigkeit? Soll es eine Pflicht zu wählen geben?Bild: DW

Es ist Wahl und keiner geht hin. Wahlmüdigkeit heißt die Seuche, die nicht nur Deutschland erfasst hat, sondern auch viele andere westliche Demokratien.

Na und, sagen jetzt viele, wer sich nicht für Politik interessiert oder wer das ganze Politikergequatsche nicht mehr erträgt, soll doch zu Hause bleiben. Eine Haltung, die - zumindest mich - erschüttert. Als sei es vollkommen egal, ob man sein Häkchen macht oder nicht, als sei das freie, gleiche und geheime Wahlrecht irgendeine zweitrangige, zu ignorierende Erfindung.

Das Wahlrecht musste in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg, musste fast überall auf der Welt von mutigen Menschen erkämpft werden. 1989 sind in Ostdeutschland die Menschen dafür auf die Straße gegangen, in Ländern mit wackligen Demokratien bedeutet eine Stimmabgabe mitunter Gefahr für das eigene Leben. Doch bei uns, die wir so stolz sind auf unsere Demokratie, die wir ja so wahnsinnig viel aus der Geschichte gelernt haben, ist eine Wahl ein zu vernachlässigender Termin.

Das Recht, die bisher nur moralische Pflicht zu wählen, ist auch eine Frage des Respekts. Wahlpflicht, das klingt nach Zwang, nach autoritärem Staatsverständnis - ist es aber nicht, denn: Wer so viele Rechte genießt wie ein Bürger, der das Glück hat, in Deutschland zu leben, der hat die Pflicht, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen.

Eine Wahlpflicht würde eine soziale Norm etablieren, würde zur Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungen zwingen. Das heißt nicht, dass es keine Politikverdrossenheit mehr gäbe, aber es ist ein fundamentaler Unterschied, ob jemand einfach zu Hause bleibt oder sich in die Wahlkabine begibt. Dort kann er sich ja meinetwegen der Stimme enthalten - aber er tut es bewusst.

Ach ja: Es gibt übrigens eine ganze Reihe von Demokratien, in denen Wahlpflicht herrscht: zum Beispiel Belgien und Australien. Wer dort nicht wählt, zahlt eine Geldstrafe. Nun gibt es das Argument der Gegner solcher Maßnahmen, eine Pflicht zur Wahl sei ein unzulässiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen. So ein Quatsch. Was sind denn dann Wehrdienst oder Steuern? Unsere Demokratie sollte uns ebensoviel Wert sein wie der Bundeshaushalt.

Ja zur Wahlpflicht - allein schon, um deutlich zu machen, dass Demokratie kein vom Himmel gefallenes Geschenk ist, sondern immer wieder neu erstritten und verteidigt werden muss.

Autor: Ramon Garcia Ziemsen

Redaktion: Kay-Alexander Scholz