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26. September 2011

DW-Korrespondentin Bettina Kolb reiste nach Arbil im Irak und begleitete das National Youth Orchestra of Iraq während seiner Proben vor dem Auftritt beim Beethovenfest. Hier der dritte Teil ihrer Eindrücke vor Ort.

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Ein Flötist des NYOI spielt
Bild: Tariq Hassoon

Proben, proben, proben. Wieder und wieder, von neun Uhr morgens bis spät in die Nacht. Und heute ist Dirigent Paul MacAlindin sichtlich unzufrieden mit dem Orchester. Die ersten Geigen sind zu langsam, und Percussionist Mohammed verpasst mal wieder seinen Einsatz. Betretene Gesichter, die Geigen liegen mutlos auf den Knien, und Ali Authman, der Komponist, tigert nervös von links nach rechts und wieder zurück. Dann greift er sich eine Geige, spielt den Rhythmus vor, lässt den Bogen sachte über die Saiten gleiten und klopft Violinist Alan ermutigend auf die Schultern. Morgen ist das große Konzert im Saad Palace in Arbil. "Naja, bis zum Beethovenfest spielen sie viel besser. Sie haben ja noch zwei Wochen Zeit", sagt Ali Authman.

Blanke Nerven, Riesenchancen und die Liebe

Paul MacAlindin
Dirigent Paul MacAlindin hat viel um die Ohren - eine Reisegenehmigung fehlt nochBild: Tariq Hassoon

Aber es herrscht Aufregung und Unmut wegen der Reise nach Deutschland. Das kurdische Kulturministerium zögert die Zusage immer weiter hinaus, ob die kurdischen Musiker, die fast alle als Musiklehrer im Dienst des Ministeriums stehen, tatsächlich für die zwei Wochen in Deutschland frei gestellt werden.

"Bis morgen brauchen wir eine Zusage", sagt Paul MacAlindin. Er streicht sich erschöpft durchs graumelierte Haar. "Wir sollen am Samstag fliegen, und am Freitag arbeitet hier doch keiner. Ich weiß auch nicht..." Eine große Hoffnung bleibt: Der Kulturminister hat sich zum Konzert angekündigt. Vielleicht überzeugt ihn die Musik.

In einer kurzen Pause plaudere ich mit Awder, einer Cellistin aus Sulaimaniya. "Mein früherer Cellolehrer ist eigentlich Geigenspieler und hat von Cello gar keine Ahnung. Ich habe mir andere Spieler im Internet angesehen und mir dann fast alles selbst beigebracht", erzählt sie. "Erst 2008 hatte ich einen Lehrer aus den USA und jetzt bin ich zum zweiten Mal dabei, beim Sommer-Camp. Das ist für mich eine Riesenchance. Und die Tutoren sind wunderbar. Sie widmen uns so viel Zeit und haben so viel Geduld."

Beim Frühstück sieht sie Harem verliebt an. Seit zehn Monaten sind die beiden verheiratet. Harem ist Flötist im NYOI und Musiklehrer. "Nein, wir kennen uns schon aus der Schule", lacht Awder, als ich wissen will, ob es während des Orchester-Sommers gefunkt hat.

Das NYOI bei einer Probe
Die Proben gehen immer weiterBild: Tariq Hassoon

Körpereinsatz und improvisierter Schalldämpfer

Ich wandere durch die Hotelflure. Aus Zimmer 208 klingen Geigen. 207 - Bratschen. Und in 210 sitzt Johnny aus Manchester mit Murtada aus Sulaimaniya, der kein Englisch spricht. Frand aus Bagdad übersetzt geduldig, was Trompeten-Tutor Johnny erklärt. Dabei zeigt Johnny so viel Körpereinsatz und zum Schreien komische Mimik, wie, wann und wo seine Trompetenschüler atmen sollen, dass eine Übersetzung eigentlich gar nicht notwendig ist.

Hornist Ali aus Bagdad hat großes Glück: Er hat eine Tutorin ganz für sich allein, Sarah aus London. Und die schickt Ali jetzt ans andere Ende des großen Konferenzraums und spielt dieselbe Passage mit unterschiedlicher Intensität zwei Mal hintereinander."Hörst du den Unterschied? Du musst übertreiben. Denn beim Konzert will auch die Oma, die in der letzten Reihe sitzt, noch hören, wie du spielst, okay?", sagt Sarah. Ali nickt, nimmt sein Horn und gibt alles.

Für seine Leidenschaft riskiert er viel. Er lebt in Bagdad in einer Nachbarschaft, die streng religiös ist. Musik ist dort gefährlich, sie wird rigoros abgelehnt. Deswegen übt er manchmal unter einem Handtuch, ein improvisierter Schalldämpfer. Die Nachbarn sollen nicht hören, dass er Musiker ist. Manch andere Orchestermitglieder müssen ihre Instrumente auf der Straße in Müllsäcken verstecken. Auch wenn alle immer wieder betonen, das Land sei in den vergangenen ein bis zwei Jahren viel sicherer geworden - wirklich sicher ist hier nichts.

Turbane, Pluderhosen und die kurdische Flagge

Die Aussicht von der Zitadelle in Arbil
Die Aussicht von der Zitadelle in ArbilBild: Tariq Hassoon

Für meine Fernsehreportage will ich Bilder vom Basar in Arbil filmen: durch ein Labyrinth aus Gassen, vorbei an Käse in Schaffell-Säcken, Rinnsalen ausweichend und um die nächste Ecke biegend. Bis ich an einer Teestube ankomme, vor der sieben alte Männer mit furchigen Gesichtern, Turbanen und Pluderhosen weltverloren Tee trinken. Ich darf mich zu ihnen setzen. "Wie kommt es, dass eine Frau alleine mit einer Kamera durch Kurdistan reist? Es gibt doch Religionen, die das verbieten", fragt einer. Alle Augen sind freundlich und mit unverhohlener Neugier auf mich gerichtet.

Mein kurdischer Produzent und Übersetzer Fakhri klärt auf: In Europa machen die Frauen so was. Wohlwollendes Kopfnicken und Murmeln. Ich lächle etwas verlegen in die Runde. Weiter durch den Basar, hinaus aus dem überdachten Gewirr in die gleißende Sonne. Den steilen Hügel hinauf, auf dem die Zitadelle sich über die Stadt erhebt. Jahrtausende alt. Manche sagen, sogar 7000 Jahre. Die verfallenen Häuser, die noch stehen, sind auch schon mindestens ein paar hundert Jahre alt. Sie alle sollen renoviert werden. Ein Kulturerbe, auf das hier alle stolz sind. Ich sinke auf eine kleine Mauer im Schatten eines Hauses und lausche der wundervollen Stimme des Muezzin, der vom Minarett zum Gebet ruft. Über mir weht die riesige kurdische Flagge mit der Sonne in ihrer Mitte.

Autorin: Bettina Kolb
Redaktion: Marita Berg/ suc