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Problematischer Vertrauensbruch zwischen Kabul und Washington

6. April 2010

Der afghanische Präsident Hamid Karsai distanziert sich immer mehr vom Westen - vor allem von den USA. Ein Zerwürfnis könnte verheerende Folgen für Afghanistan und die ganze Welt haben. Was steckt hinter Karsais Politik?

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Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Die Zeiten, in denen sich Kabul und Washington blind aufeinander verlassen konnten, scheinen längst vorbei zu sein. Beide Seiten werfen sich Ohnmacht im Kampf gegen die Taliban, Korruption und Drogenbarone vor. Der afghanische Präsident Hamid Karsai bezichtigt zudem den Westen, sich vehement in innere Angelegenheiten seines Landes einzumischen. Nicht er habe zum Beispiel die letzten Präsidentschaftswahlen manipuliert, sondern "die Ausländer".

Der afghanische Präsident gibt sich in den letzten Monaten gern als unabhängiger Politiker, der unerschrocken gegen jede Einflussnahme in seinem Land vorgeht. Treu dieser neuen Linie forderte er bei seiner jüngsten Rede vor vielen Stammesältesten in Kandahar, die bevorstehende NATO-Offensive solle nur im Einklang mit ihm und dem Clanführer durchgeführt werden. Später soll er noch bei einem geheimen Treffen mit Parlamentsabgeordneten gesagt haben, die Missachtung der afghanischen Gesetze durch die Ausländer werde die Taliban noch mehr stärken.

Nicht nur Populismus

Acht Jahre nach dem Sturz der Taliban kommen solche kritischen Äußerungen des Präsidenten bei den Afghanen gut an. Karsai und sein Team wissen das. Weil der afghanische Staatschef nicht mit Taten seine Landsleute begeistern kann, versucht er es nun mit Worten. Viele Afghanen sind angesichts der desolaten Situation ihres Landes enttäuscht. Enttäuscht vor allem vom Westen, allen voran von den Amerikanern. Sicherheit, Demokratie und ein besseres Leben wurden ihnen versprochen, die Realität ihres Alltags sieht aber, nach fast einem Jahrzehnt der US-Präsenz, ganz anders aus.

Doch der afghanische Präsident distanziert sich nicht nur aus populistischen Gründen von seiner eigentlichen Schutzmacht, den USA. Karsai, der das Vertrauen des früheren US-Präsidenten Georg W. Bush genoss, merkt, dass er von der neuen demokratischen Administration in Washington nicht dieselbe Unterstützung bekommt. Präsident Barak Obama ernannte Richard Holbrooke zum Afghanistan- und Pakistanbeauftragten. Ausgerechnet den US-Politiker, der Karsai öffentlich kritisiert und Nähe zu Pakistan und seinen innenpolitischen Rivalen Abdullah Abdullah vorwirft.

Des Weiteren ärgert sich der afghanische Präsident, dass seine Wiederwahl gerade von den USA öffentlich in Frage gestellt wurde. Ferner stellt Karsai fest, dass seine Politik der Aussöhnung mit den radikalen Kräften in Afghanistan nicht die erwünschte Unterstützung seitens der Obama-Administration findet. Karsai weiß, dass er vor Feinden und Freunden viel an Prestige verloren hat und versucht nun gegenzusteuern - nicht nur mit Worten. Er besuchte vor wenigen Wochen zum wiederholten Male Peking und Teheran. Dadurch möchte er zeigen, dass er durchaus andere Freunde in der Region hat - eine gefährliche Politik. Denn Kabul versuchte schon einmal vor rund 50 Jahren, die Supermächte gegeneinander auszuspielen - mit verheerenden Folgen für Afghanistan, die bis heute spürbar sind.

Keine Alternative

Der afghanische Präsident weiß aber, dass die USA, so sehr sie ihn auch kritisieren, zurzeit keine Alternative zu ihm haben. Er ist, wie auch immer, der gewählte Präsident des afghanischen Volkes. Ihn ganz zu ignorieren, kann sich die USA nicht leisten. Denn Washington kann nicht gleichzeitig gegen Al-Kaida, die Taliban und Kabul kämpfen.

Präsident Barack Obama wird nichts anderes übrig bleiben als mehr auf seinen afghanischen Amtskollegen, zumindest öffentlich, zuzugehen. Dazu wird es beim nächsten Besuch von Karsai, Anfang Mai in Washington, einige Gelegenheiten geben. Ratsam für beide Seiten wäre jedoch, mehr auf stille Diplomatie als Säbelrasseln zu setzen. Die Lage in Afghanistan ist alles andere als stabil und die Menschen warten sehnsüchtig auf Fortschritte. Ein Zerwürfnis zwischen Kabul und Washington kann einen Erfolg der Friedensmission ernsthaft gefährden - mit verheerenden Folgen für Afghanistan und die ganze Welt.

Autor: Ratbil Shamel
Redaktion: Kay-Alexander Scholz