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"Kombination deutscher und indischer Tugenden"

Rodion Ebbighausen22. September 2016

Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie zum Innovationsstandort Indien vorgelegt. Sie zeigt, dass das Potential von deutschen Unternehmen viel zu selten genutzt wird, wie Murali Nair im Interview mit der DW sagt.

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Symbolbild Indien Computer
Bild: Getty Images/AFP/I. Mukherjee

Am Donnerstagabend wurde die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi präsentiert. Die Studie wurde vom Beratungsunternehmen Roland Berger durchgeführt, das Unternehmen und Führungskräfte in beiden Ländern befragt hatte. Deutschlands Wirtschaft und Politik müssten rasch handeln, so die Autoren, um in Indien und anderen asiatischen Märkten nicht abgehängt zu werden. Der Projektleiter Murali Nair erklärt im Gespräch mit der Deutschen Welle, worin das besondere Potential liegt.

Deutsche Welle: Was hat Indien zu bieten?

Murali Nair: Indien hat ein enormes Humankapital. Es gibt etwa 1,5 Millionen Ingenieure und wenn man zum Beispiel sieht, wie viele indische Ingenieure für US-amerikanische Unternehmen arbeiten, dann ist das gewaltig, allein schon von den Zahlen.

Zweitens haben indische Ingenieure eine andere Mentalität, die man vielleicht "frugal" nennen kann. Indien ist ein Land mit knappen Ressourcen. Die Menschen sind damit aufgewachsen und natürlich fließt das in die Produktgestaltung mit ein. Ohne dass das den Ingenieuren bewusst ist, sind ihre Innovationen oft reduziert, auf das Wesentliche beschränkt. Solche Produkte lassen sich nicht nur gut in Indien, sondern auch in anderen Schwellenländern verkaufen. Von dieser Denkweise können deutsche Unternehmen profitieren.

Wie viele deutsche Unternehmen sind denn zurzeit in Indien aktiv?

Es gibt zum Beispiel das deutsche Softwareunternehmen SAP, das in Bangalore aktiv ist und tausende Ingenieure beschäftigt. Sie arbeiten am Internet der Dinge, aber auch Forschung im Bereich Herstellung und Produktion wird von SAP in Bangalore geleistet. Wir haben in unserer Studie auch gefragt, warum SAP das macht. Und die Antwort war nicht die übliche, weil es billiger ist, sondern weil es in Bangalore ein Umfeld der digitalen Forschung und von Start-ups gibt, die Innovation und Entwicklung befördern. Es gibt 4000 Start-ups in Indien, von denen die meisten in Bangalore angesiedelt sind. Wer etwas Neues entwickeln will, muss sehen, was andere machen. SAP ist natürlich ein Großunternehmen, Mittelständler trauen sich noch nicht. Indien ist ein komplizierter Markt.

Murali Nair arbeitet für das Programm Deutschland und Asien
Murali Nair von der Bertelsmann-StiftungBild: Bertelsmann-Stiftung

Warum scheuen Ihrer Ansicht nach noch viele deutsche Unternehmer vor Indien zurück?

Indien ist selbst schuld. Die Bürokratie ist nicht die einfachste. Aber unter der Regierung Modi ändert sich das allmählich. Hinzu kommt: Wenn man deutsche und amerikanische Unternehmen vergleicht, und das kann ich aus persönlicher Erfahrung sagen, denn ich habe in Bangalore sowohl für deutsche als auch amerikanische Unternehmen gearbeitet, gibt es auch einen Kulturunterschied. Inder und Amerikaner finden leichter zueinander. Die Herausforderung sollte man nicht unterschätzen.

Was müsste passieren, um die Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Entwicklung zwischen Deutschland und Indien zu vertiefen?

Erst einmal muss Innovation neu gedacht werden. Für deutsche Ingenieure ist Innovation eine neue Technologie, Hightech am Limit, mit möglichst vielen Features. Ihnen fehlt oft der Blick auf die Reduktion der Kosten und die Vereinfachung. Das empfinden sie nicht als Herausforderung. Aber Inder versuchen ein Produkt oder eine Dienstleistung auf den Markt zu bringen, die genau zum Konsumenten in Schwellenländern passt. Die Nachfrage nach Hochtechnologie ist einfach nicht so groß. Das Verständnis dafür muss bei Deutschen erst noch entstehen und dabei können sie von Indern lernen.

Umgekehrt sind Inder sehr gute Krisenmanager, aber langfristige Planung fällt ihnen schwer. Deswegen gibt es ein Beispiel in unserer Studie – Grey Orange, ein indisches Start-up mit einem deutschen ehemaligen IBM-Ingenieur – die gemeinsam ein Produkt entwickelt haben. Sie sagen, dass die Kombination aus indischem Krisenmanagement und deutscher Langfristplanung sehr gut funktionieren kann, wenn man die andere Seite schätzt und respektiert. Darin liegt für beide Seiten ein großes unternehmerisches Potential.

In der Kombination deutscher und indischer Tugenden erreicht man ein großes und wachsendes Marktsegment, nämlich die Schwellenländer mit einer jungen und wachsenden Bevölkerung, in der es außerdem schon eine ausreichend große Mittelschicht gibt.

Murali Nair arbeitet für das Programm Deutschland und Asien der Bertelsmann-Stiftung. Er war Projekt-Manager der Studie "Innovationsstandort Indien: Deutschland nutzt Potenzial noch zu wenig".