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Produktpiraten noch immer in voller Fahrt

Stephan Hille1. Februar 2005

Die Russen haben eine Schwäche für CDs. Legal allerdings sind davon nur die wenigsten. Da kann der Staat tun, was er will. Selbst die WTO taugt nicht wirklich zur Abschreckung.

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"Gorbuschka" heißt Moskaus größter Elektronikmarkt. Die erste Adresse für Musik-CDs, DVD und Software verbirgt sich hinter alten Fabrikmauern im Westen der Stadt. Früher wurden hier sowjetische Fernseher montiert, seit Jahren schon reiht sich in drei Hallen und mehreren Etagen ein Stand an den nächsten. Vom Bügeleisen bis zum High-End-Verstärker ist alles zu haben. An sieben Tagen in der Woche herrscht ein Gedränge wie auf einem orientalischen Basar, vor allem aber wegen der günstigen Musik- und Software-CDs.

Nach wie vor dürfte "Gorbuschka" der größte Umschlagplatz in Europa für Raubkopien von Musik-CDs, Videos, DVDs und Softwareprogrammen sein. Noch immer steht Russland im schlechten Ruf, nach China weltweit der zweitgrößte Produzent von illegalen Kopien zu sein. Ein schlechtes Image für ein Land, dass der Welthandelsorganisation (WTO) beitreten möchte.

Zwar hat die russische Duma Anti-Piraterie-Gesetze verabschiedet, doch wirkliche Früchte trägt der versprochene Kampf gegen die Verbreitung von Raubkopien nicht - höchstens ein paar bunte Blüten: "Betrüg' Dich nicht selber, kauf keine Piraten-Ware!", steht in großen Buchstaben über den Verkaufstischen mit CDs und DVDs. Mit solchen Losungen versuchen die Behörden, die Konsumenten dazu zu bewegen, nur lizensierte (und massiv teuere) Produkte zu kaufen - jedoch ohne Erfolg. Die Ermahnungen über den Verkaufstischen haben etwa den gleichen Überzeugungswert wie die alten sowjetischen Propaganda-Losungen, die den Werktätigen zu Sowjetzeiten die Errungenschaften des Sozialismus schmackhaft machen sollten.

Doch inzwischen haben die russischen Behörden den Kampf gegen die Raubkopien etwas verschärft. "Schwarz" kopierte CDs gibt es auf der "Gorbuschka" nur noch als "Bückware". Offen angepriesen werden nur noch lizensierte Produkte. Doch die sind gegenüber den illegal gepressten CDs um das 5-fache teurer. Auf Nachfrage halten die meisten Verkäufer jede Musik-CD als Raubkopie im Angebot. Kein Wunder, dass die Kunden lieber 3 Euro statt 15 Euro für die neue U2-CD ausgeben.

Hin und wieder versuchen die Behörden durch Großrazzien, den Handel mit Raubkopien zu unterbinden. Doch ins Netz gehen den Ermittlern wie so häufig nur die kleinen Fische: die Verkäufer am Ende der Kette. Es ist ein offenes Geheimnis, dass CDs und DVDs unter anderem auch in geschlossenen Produktionsstätten der Rüstungsindustrie illegal gebrannt werden - also in Fabriken, zu denen Ermittler und Aufsichtsbehörden nicht ohne weiteres Zugang haben.

Zwar ist der Anteil der "schwarz" gebrannten Musik-, Film- und Software-CDs in den letzten Jahren gesunken, doch noch immer beherrschen die Piraten den Großteil des Marktes. Zu viele verdienen zu gut an der Produkt-Piraterie. Dafür entstand der internationalen Musik-, Film- und Software-Industrie allein in Russland im Jahr 2003 ein Schaden von 1,7 Milliarden Dollar. Ein schlechter Ruf für den WTO-Anwärter Russland. Vor allem die USA erwarten von dem Beitrittskandidaten ein entschlosseneres Vorgehen gegen Raubkopien.

Vielleicht sollte sich die russische Regierung Rat in Peking holen: Denn China ist mit Abstand der größte Produzent für illegal gepresste CDs - und seit Ende 2001 Mitglied der WTO.