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Professionell lässig

Bernd Riegert19. Mai 2004

Verfassung, Verteidigung, Wettbewerb, Chemikalien. In dieser Woche war die Brüsseler Tagesordnung für die EU-Minister prall gefüllt. Doch so richtig ernst scheinen die das Treiben in Brüssel nicht zu nehmen.

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Sie reisen zwar getrennt in diversen Flugzeugen am selben Sitzungstag an, aber viel Zeit für europäische Geschäfte bringen sie nicht mit. Bundesaußenminister Fischer zum Bespiel schwebt zwei Stunden nach Sitzungsbeginn ein, um dann das Mittagessen mitzunehmen. Kurz nach dem Dessert und ein paar Wortbrocken, die er den wartenden Journalisten hinwirft, nimmt er schon wieder Kurs auf den heimatlichen Schreibtisch.

Auch Verteidigungsminister Struck und Umweltminister Trittin haben es eilig. Die eigentlichen Verhandlungen, die stundenlangen Sitzungen in den "Minister"-Räten lassen für gewöhnlich Staatssekretäre als Platzhalter über sich ergehen. Wenn auch die keine Zeit haben, müssen schon mal die EU-Botschafter in die erste Reihe vorrücken.

Sprechzettel für Untergebene

Wirklich alle 25 Minister gleichzeitig während einer Ratstagung in einem Raum zusammen zu sehen, ist fast die Ausnahme meint ein Beamter im Rat. Meistens gibt es noch wichtige bilaterale Gespräche am Rande, noch eine Pressekonferenz hier und ein unaufschiebbares Telefonat mit Kanzler oder Kindern dort. Viele Minister erfahren erst aus dem Protokoll, aus der Zeitung oder von ihren Staatssekretären, was tatsächlich besprochen oder beschlossen wurde.

Ähnlich professional lässig scheint manchmal auch die Vorbereitung für die Sitzungen zu sein. Viele Minister bekommen von ihrem Stab einen Sprechzettel gereicht, mit genauen Regieanweisungen, wann welcher Widerspruch erhoben werden soll. So geraten die Ratssitzungen stellenweise zu einem Ritual, in dem sich die Mächtigen gegenseitig die Sprechzettel ihrer Untergebenen vortragen.

Ministerrat oder Kantine?

Da kann schon eine gewisse Langeweile aufkommen, stöhnt ein EU-Beamter, der seit Jahren Zeuge dieser rituellen Verlesungen ist. Wenn alle 25 Staaten nur fünf Minuten vorlesen, gehen schon zwei Stunden Arbeitszeit drauf. Ist es da ein Wunder, dass vielbeschäftigte und sich ihrer eigenen Wichtigkeit bewussten Minister diese Vorleserunden meiden und wie Joschka Fischer lieber nur zum Mittagessen kommen, bei dem es meistens etwas zwangloser um aktuelle Fragen geht.

Im Grunde sind die formellen Räte eher zu einer europäischen Kantine für die Minister verkommen. Man trifft sich zum Business-Lunch und die unangenehmen langweiligen Teile überlässt man den unteren Rängen. Diese Verhalten ist beileibe nicht nur bei deutschen Ministern, sondern auch bei vielen europäischen Freunden zu beobachten. Eifrig dabei sind noch die neuen Staaten, aber auch das lässt schon nach, meinte ein Diplomat augenzwinkernd. Bei genauem Hinsehen müssten die Ministerräte der EU also eher Ministerlose Räte heißen.