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Protestantische Lieder in den Straßen Havannas

26. Mai 2009

Immer mehr evangelikale Glaubensrichtungen wie die Adventisten und die Pfingstbewegung breiten sich auf Kuba aus. Mittlerweile sind offiziell rund 300.000 protestantische Christen auf Kuba registriert.

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Bild: dpa

Die Dunkelheit der Nacht verleiht den eng bewohnten Stadtteilen der kubanischen Hauptstadt Havanna eine unbestreitbar romantische Atmosphäre. Aus einigen Fenstern der Wohnungen im ersten und zweiten Stock scheint ein wenig Licht auf die Straßen. Plötzlich ertönt ein melodisches Summen. Gitarren werden gestimmt. Dann beginnt der Gesang von zehn talentierten Stimmen: "Zum Geburtstag viel Glück." Der kleine Chor steht auf der Straße vor einer offenen Tür, durch die man in ein Treppenhaus blicken kann. Alte Marmorstufen führen hinauf in die absolute Dunkelheit. Ein morsches Holzfenster wird geöffnet. Die Silhouette eines schwarzen Kopfs taucht auf, mit leuchtenden Augen und einem freudigen, weißen Lachen. Der Gesang geht weiter: "Alles Gute, liebe Analie, zum Geburtstag viel Glück."

Protestanten auf Kuba

Vor einigen Jahren hat sich Analie einer evangelikalen Kirche angeschlossen. Wie überall in Lateinamerika wächst die evangelikale Bewegung auch auf Kuba. Heute engagiert sich Analie für den Aufbau einer christlichen Jugendgruppe. Sie sagt, ihr Glaube gebe ihr die Kraft, die sie im Alltag braucht, um die Entbehrungen hinzunehmen. Wie gerne würde sie zum Geburtstag eine Umarmung ihrer Mutter bekommen. Doch seit zwei Jahren kann sie nicht mehr in ihren Heimatort fahren. Dafür reicht das Geld nicht.

Vor der Revolution im Jahr 1959 waren die meisten Kubaner Katholiken, doch nur zehn Prozent von ihnen waren regelmäßige Kirchgänger. Die Protestanten waren eine kleine Minderheit, die vorwiegend auf dem Land lebte und zu den ärmeren Teilen der Gesellschaft gehörte. Als sich die Revolutionsregierung dem Marxismus-Leninismus zuwendete und die Partei nur noch Atheisten in ihren Reihen aufnahm, wurde das Leben für Christen schwieriger.

BdT Kuba russisch-orthodoxe Kirche in Havanna
Russisch-orthodoxe Kirche in HavannaBild: AP

140 katholische Priester wurden des Landes verwiesen, 400 gingen freiwillig ins Exil. Die meisten Protestanten aber blieben auf Kuba. In den kompromisslosen sowjetischen Zeiten der siebziger und achtziger Jahre war es ihnen verboten, in die kommunistische Partei einzutreten. Bestimmte Studiengänge an den Universitäten, vornehmlich in den humanistischen Fächern, blieben für Christen geschlossen.

Evangelikale Erfolge

Heute ist Analies fünfundzwanzigster Geburtstag. Sie eilt die Treppenstufen hinunter zur Straße, um ihre Freunde zu umarmen, insbesondere Giosvani, einen Jungen mit asiatischen Gesichtszügen und einem großen Talent im Umgang mit der Gitarre. Zudem hat er die Gabe, gute Laune zu verbreiten. "Wir preisen den Herrn", erklärt er. "Wir danken ihm für Analie. Sie ist eine bemerkenswerte Frau."

Fidel Castro und Michail Gorbatschow Kuba 1989
Fidel Castro und Michail Gorbatschow 1989 auf KubaBild: picture-alliance /dpa

Viele der protestantischen Gemeinden Kubas sind im Laufe der neunziger Jahre entstanden. Von der Regierung wird diese Zeit als "periodo especial", spezieller Zeitabschnitt, bezeichnet. Damals ist der Kommunismus als Staatspolitik fast im gesamten Rest der Welt verschwunden. Die kubanische Regierung verlor ihren wichtigsten Alliierten, die Sowjetunion. Viele Kubaner suchten Hilfe in der Religion. Einige hofften auf konkrete Hilfen durch die evangelikalen Gruppierungen, die gute Kontakte zu kanadischen und US-amerikanischen Missionaren pflegten.

Reformen und Öffnung

Analie hat ihre Familie in der kubanischen Provinz Camagüey schon als Jugendliche verlassen, um in der Hauptstadt Havanna zur Schule gehen zu können. Wegen ihres schauspielerischen Talents hat der Staat ihr schon früh ein Stipendium gegeben. Heute arbeitet sie als Schauspielerin und ist bekannt für ihre Professionalität in der Ausübung der Kunst. Sie verdient das übliche Gehalt von 280 kubanischen Pesos, etwa 12 Euro im Monat. Sie ist zufrieden mit dem, was sie in ihrem Beruf erreicht hat: "Ich bin Afrokubanerin. Meine Hautfarbe war nie ein Problem. Hier auf Kuba ist es nicht wichtig, woher du kommst. Bauern oder Arbeiter, Männer oder Frauen, alle haben die gleichen Möglichkeiten. Das ist etwas, worauf wir Kubaner stolz sein können."

Seitdem die Verfassung 1992 überarbeitet wurde, hat sich vieles geändert in der Beziehung zwischen der kubanischen Regierung und den christlichen Kirchen. Vermerke, die den Staat als marxistisch-leninistisch bezeichnen, wurden getilgt. Die Trennung zwischen Staat und Kirche führte zu einer Öffnung der Zivilgesellschaft für Christen. Innerhalb weniger Jahre vervielfachte sich die Zahl der protestantischen Kirchgänger, was auch auf aggressive Missionsbemühungen aus Nordamerika zurückzuführen ist. Mit den politischen Reformen sind die Möglichkeiten der Kirchen zur Evangelisation größer geworden. Hier und da werden Missionsveranstaltungen in öffentlichen Sälen oder Stadien genehmigt und jeden Sonntag kann man im staatlichen Rundfunk zwei Ansprachen von protestantischen Predigern hören.

Anhaltende Angst

Männer beim Dominospiel
Bild: Andreas Boueke

Trotzdem haben noch immer viele Kubaner Angst, über Politik und Religion zu sprechen, insbesondere, wenn ein Mikrofon im Spiel ist. Sie befürchten Strafen und Repressalien durch den Staat. Doch die jungen Leute um Analie fühlen sich sicher. Sie fahren mit dem Bus bis zu Havanas altem Zentrum, dem touristischsten Teil der Stadt. Dort gehen sie singend durch die Straßen. Auf einem Platz bleiben sie stehen, stellen sich im Kreis auf und senken die Köpfe zum Gebet. "Amen."

Es ist Zeit für Geburtstagsgeschenke. Analie bekommt eine Zahnbürste, ein Kästchen Streichhölzer, einen Bleistift und als besondere Überraschung, eine parfümierte Seife. Freudestrahlend atmet sie den Duft ein und fühlt sich reich beschenkt. Wenig später verabschiedet sie sich mit einem Kuss auf die Wange. Sie ist schon fast in der Dunkelheit verschwunden, als sie sich noch einmal umdreht. Mit besorgtem Gesicht sagt sie: "Wenn du etwas veröffentlichst, erwähne bitte nicht unsere wirklichen Namen. Keiner von uns hätte Dir ein Interview geben sollen. Für uns ist das ein großes Risiko. Du wirst Kuba verlassen, aber wir werden bleiben. Ich kann es mir nicht leisten, meine Arbeit zu verlieren. Ich bitte Dich, identifizier' uns nicht."

Autor: Andreas Boueke

Redaktion: Oliver Pieper