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Oberhausener Manifest

Jochen Kürten26. April 2012

Die Unterzeichner des Oberhausener Manifests von 1962 kritisierten die deutsche Filmproduktion. Nun stehen sie selbst in der Kritik - in einem Buch, das die Zerrissenheit des deutschen Kinos dokumentiert.

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Kurzfilmtage Oberhausen Manifest Diskussion (Foto: Kurzfilmtage)
Bild: Kurzfilmtage

Zum 50-jährigen Jubiläum und zeitgleich zur 58. Ausgabe der Kurzfilmtage Oberhausen ist es erschienen: das Buch zum berühmtesten Manifest des bundesdeutschen Nachkriegskinos. "Provokation der Wirklichkeit - das Oberhausener Manifest und die Folgen" ist selbst eine Provokation. Denn es setzt ganz auf die Auseinandersetzung, deckt den Streit untereinander auf, schleudert jede Menge Giftpfeile. Das überraschende daran: Die sind nicht auf diejenigen gerichtet, die man als Ziel vermuten würde. Nicht "Opas Kino" wird hier attackiert, sondern nachwachsende Regiegenerationen. Doch der Reihe nach.

Das Buch ist gegliedert in vier Teile. Zunächst haben die Herausgeber in den Archiven nachgeschaut und vergessene Dokumente zusammengetragen, rund um den filmischen Aufbruch, für den das Manifest von 1962 ja nur der sichtbarste Ausdruck war. Dann gibt es einige Essays zur Lage des deutschen Autorenfilms, vornehmlich aus späteren Jahren. Im dritten Teil sind Interviews und Gespräche mit alten und jungen Filmemachern abgedruckt. Kurze Porträts der 26 Unterzeichner des Manifests runden den Band ab.

Kritik und Mißtrauen

Auffallend nun, dass die Kritiker und Filmpublizisten, die Regisseure und Produzenten, die in dem Buch mit Beiträgen vertreten sind - mit alten und neuen Texten -, überaus kritisch mit den Unterzeichnern umgehen. Es ist also nicht die damals heftig gescholtene Generation der älteren Regisseure (Käutner und Staudte, Thiele und Hoffmann), die hier aufs Korn genommen wird, es trifft vielmehr die Unterzeichner des Oberhausener Manifest selbst. Eigentlich geht es zu wie in der Politik, frei nach dem Motto, am meisten gehasst wird die Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Einem der Köpfe der Bewegung, Alexander Kluge, wird immer wieder vorgeworfen, zu intellektuell und am Publikum vorbei gearbeitet zu haben. In Regisseuren wie Volker Schlöndorff, der zwar nicht zu den Unterzeichnern gehörte, aber in den 60er Jahren zum engsten Kreis des jungen deutschen Films zählte, ahnt man schon wieder die Konventionalität von Opas Kino heraufziehen. Insgesamt wirft man den "Oberhausenern" mangelnde Radikalität, kein Durchstehungsvermögen und wenig Phantasie vor.

Am radikalsten gebärdet sich der Regisseur Klaus Lemke, ein Zitat soll hier genügen: "…das war doch ´ne Bande von Wichsern. Drumherum fing die Führung der SPD an, sich Häuser in der Toskana zu kaufen. (…) Der Kluge hat gemerkt, dass die Filme, die die da machen, keinen Menschen interessieren. Und aus Rache dafür, dass das Publikum total desinteressiert war an diesem Dreck, ist er zur Politik gegangen und hat denen die Filmförderung rausgeleiert, damit wenigstens der Steuerzahler zur Strafe die Filme bezahlt. Und damit waren die endgültig korrumpiert. Das war de facto der Anschluss an das Staatskino der DDR."

Alexander Kluge (foto: Peter Kneffel dpa)
Alexander Kluge - nicht unumstrittener Kopf der BewegungBild: picture-alliance/dpa

Kein Zusammenhalt

Zugegeben, Lemke ist der radikalste. Aber das Unwohlsein anderer an der "Generation Oberhausen" ist auch in vielen anderen Texten spürbar. Manche fühlen sich benachteiligt, abgeschnitten von den erstrittenen Fördertöpfen, andere misstrauen dem System staatlich gelenkter Förderung insgesamt. Manchen sind die Filme der 60er und 70er Jahre zu politisch, wieder andere machen den Regisseuren zum Vorwurf, sie seien eben nicht politisch genug. An mangelndem formalen Mut und Experimentierwillen wird herumgekrittelt. Einige sind der Ansicht, die solide, handwerkliche Kunst der älteren Generation würde heute fehlen.

Von Zusammenhalt also keine Spur. Diesem Unwohlsein schließen sich die Herausgeber an: "Auf den Ruinen des Oberhausener Manifests ist ein System entstanden, das sich in seiner kulturellen Relevanz kaum mehr legitimieren muss." Und wenn dann auch noch dem Deutsche Filmpreis vorgeworfen wird, hier vergebe die Branche nur einen Preis an sich selbst, dann sehnt man sich - angesichts der als preiswürdig erachteten Regisseure wie Christian Petzold und Andreas Dresen - schon nach ein wenig mehr Gelassenheit. Ein Buch zum Streiten über einen Streit um das deutsche Kino!

Ralph Eue/Lars Henrik Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit - Das Oberhausener Manifest und die Folgen, edition text + kritik, München 2012, 356 Seiten, ISBN 978 3 86916 182 2.