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Politik

Prozessbeginn für Mesale Tolu

11. Oktober 2017

Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu befindet sich seit Mai in türkischer Haft. Am heutigen Mittwoch beginnt der Prozess gegen sie. Im DW-Interview fordert ihre Anwältin Ezgi Güngördü die Freilassung.

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Demonstration für Deniz Yücel und Mesale Tolu in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/P,. Zinken

Am 6. Mai wurde die deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu in der Türkei verhaftet. In der Anklageschrift wird ihr Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation sowie Terrorpropaganda vorgeworfen. Mit ihrem drei Jahre alten Sohn Serkan befindet sich Mesale Tolu derzeit im Frauengefängnis in Bakırköy. Die Deutsche Welle sprach mit ihrer Anwältin Ezgi Güngördü über den Prozess, die Beweise der Anklage und Tolus Situation im Gefängnis.

Deutsche Welle: Wann und mit welcher Begründung wurde Meşale Tolu festgenommen?

Ezgi Güngördü: Tolu wurde am 30. April bei einer Hausrazzia festgenommen. Am 6. Mai sah sie sich mit der Anschuldigung konfrontiert, "Mitglied einer bewaffneten terroristischen Organisation" zu sein und "Terrorpropaganda zu verbreiten". Das heißt, sie ist seit fünfeinhalb Monaten in Untersuchungshaft. Dabei hatte Mesale Tolu für die Nachrichtenagentur ETHA als Reporterin und Übersetzerin gearbeitet; es gibt keine Verbindungen zu einer bewaffneten Tat. Aber Tolus Mitgliedschaft in der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP) wird in der Anklageschrift als Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation bewertet. Wir denken, dass man hier über die ETHA den Journalismus unter Druck setzen möchte.

Worauf basieren die Anschuldigungen gegen Mesale Tolu?

Ezgi Güngördü
Anwältin Güngördü fordert die Freilassung der JournalistinBild: DW/A.Duran

In der Anklage wird Mesale Tolu beschuldigt, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Partei (MLKP) zu sein. Als Beweis wird angeführt, dass Tolu die Beerdigungen und Gedenkveranstaltungen von MLKP-Mitgliedern wie Yeliz Erbay, Sirin Oter, Suphi Nejat Agırnaslı und der in Syrien gestorbenen Ivana Hoffmann besucht habe. Außerdem gibt es Bilder von ihr, wie sie zwischen dem 17. und dem 25. Dezember 2013 bei Protesten gegen die Korruption der Regierung anwesend war. Man fand in ihrer Wohnung eine Ausgabe der Zeitschrift Marxistisch-Leninistische Theorie. Das wertet man als Beweis für die Mitgliedschaft in der Organisation. Dabei ist diese Zeitschrift nicht einmal verboten. Mesale Tolu ist Journalistin, sie könnte auch eine verbotene Zeitschrift aus Recherchegründen bei sich zu Hause haben.

In der Anklageschrift finden sich Aussagen eines anonymen Zeugen. Was steht darin?

Der anonyme Zeuge sagt über Mesale Tolu: "Ich kenne diese Person nicht namentlich. Aber sie ist Teil der örtlichen Organisation der MLKP im Gazi-Viertel. Außerdem nimmt sie an den Veranstaltungen teil, die die Frauenorganisation der Partei (SKM) organisiert". Das hat er 2015 gesagt. Während damals gegen Mesale Tolu keine Ermittlungen durchgeführt wurden, wird sie 2017 für diese Aussage festgenommen und inhaftiert. Darüber hinaus sagt der anonyme Zeuge "Ich kenne sie nicht", kann aber gleichzeitig sagen, dass sie Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist. Wir denken, dass diese anonymen Aussagen dazu dienen sollen, die Akte dicker erscheinen zu lassen.

Was denken Sie als Tolus Anwältin über die Anklage?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt, dass Menschen für einen Verstorbenen eine Trauerfeier organisieren oder besuchen dürfen, egal, wer die verstorbene Person ist. Das heißt, hier liegt kein Verbrechen vor. Folglich ist die Anklage an sich gesetzwidrig, denn sie übernimmt den Polizeibericht eins zu eins. In einer Anklageschrift von 118 Seiten stammt nur eine Seite von der Staatsanwaltschaft. Der Rest beschäftigt sich mit der Geschichte der MLKP, damit, was die ETHA und die ESP sind. In dem ganzen Bericht findet sich kein einziger Beweis, dass Tolu an einer Veranstaltung der MLKP teilgenommen hat.

Welche Strafe wird für Tolu und die anderen Angeklagten gefordert?

Man fordert über 10 Jahre Haft. Die Gerichtsverhandlung findet heute (11.10.) und morgen in Silivri statt. Weil es ein Prozess mit vielen Angeklagten ist, befürworteten wir diesen Ort. Am ersten Tag werden sich die Angeklagten einzeln verteidigen. Am zweiten Tag werden die Anwälte sprechen. Die anderen werden angeklagt, weil sie eine ESP-Fahne getragen oder Flyer verteilt haben. In der Anklage liegt der Fokus auf der ETHA. Dabei existiert kein Gerichtsurteil, wonach die ETHA "ein Presseorgan einer terroristischen Organisation" ist.

Hatte Tolu während ihrer Haft Kontakt zum deutschen Konsulat?

Der deutsche Botschafter Martin Erdmann besuchte Tolu Ende August im Frauengefängnis in Bakırköy. Auch wir Anwälte sind im ständigen Kontakt mit dem Konsulat. Das Konsulat hat mitgeteilt, dass es am 11. und 12. Oktober anwesend sein wird. Die deutschen Zuständigen verstehen ihre Aufgabe darin, den Prozess zu beobachten.

Wie sind die Haftbedingungen von Tolu?

Sie bleibt im Frauengefängnis in Bakırköy, was im Vergleich zum Gefängnis von Silivri etwas angenehmer ist. Hier ist sie in einer Zelle für 10 Personen gemeinsam mit ihrem dreijährigen Sohn Serkan. Das ist einer der wichtigsten Punkte in unserem Widerspruch. Wir fordern vom Richter, dass er besonders in diesem Punkt sensibel reagiert. Serkan ist in dem Alter, in dem er in den Kindergarten gehen sollte; er lebt aber mit seiner Mutter im Gefängnis. Sein Vater ist einer der 18 inhaftierten Angeklagten. Tolus Familie lebt in Deutschland. Wir haben den Antrag gestellt, dass Tolu sich in Freiheit vor Gericht verantworten kann, doch noch haben wir keine positive Rückmeldung vom Gericht bekommen.

Das Interview führte Aran Ekim Duran.