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Prozess ist immer gut

Alexander Kudascheff30. November 2005

Immer wenn die EU, also in erster Linie die europäische Kommission, in zweiter Linie der Rat, nicht weiter weiß, und doch ahnt, dass gehandelt werden muss, dann ruft sie einen Prozess aus. Zwei Beispiele gefällig?

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Alexander Kudascheff

Nehmen wir das aktuelle Beispiel. Den Barcelonaprozess. Da geht es eigentlich um die Zusammenarbeit mit den arabischen Ländern des Mittelmeers sowie mit Israel und der Türkei. Es ging - der Prozess wurde vor zehn Jahren begonnen und befeuert vom Friedensvertrag zwischen Israel und den Palästinensern in Oslo - um den Versuch der EU, im Nahen Osten mitzumischen. Auf europäische Art, also mit Geld und guten Worten.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Es entstand ein dichtes Netz von Begegnungen, von Treffen, von Gipfeln, in denen unentwegt beschworen wurde, man würde enger zusammenarbeiten - beim Kampf gegen die illegale Einwanderung, beim Versuch, einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zusammenzubringen, bei der langfristigen Anbindung der Mittelmeeranrainern an den europäischen Binnenmarkt. Soweit die hehren Töne.

Die Wirklichkeit: beim Gipfel in Barcelona dieses Woche, immerhin ein Jubiläumsgipfel, glänzte die arabische Welt der Despoten und Autokraten mit Abwesenheit. Der Mittelmeergipfel war ein Gipfel der EU - mit dem türkischen Premier als Gast. Dafür hätte man nicht nach Barcelona fahren müssen, schließlich trifft man sich in der EU sowieso im Dezember. Aber - so sieht es die EU: Natürlich war Barcelona ein Erfolg. Denn es handelt sich ja um einen Prozess - und der kann dauern und da kann man eine Momentaufnahme nicht auf die politische Briefwaage legen.

Das alte Europa kommt nicht mit

Zweites Beispiel gefällig: der Lissabonprozess. Da handelt es sich - im besten Sinn sowjetischer Phraseologie - um einen beeindruckenden Aufholprozess, der die EU in - im Jahre 2000 begonnen - in zehn Jahren zur wettbewerbsfähigsten, dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaft der Welt machen sollte. Einfach gesagt: in Europa sollte mehr geforscht werden, die Kräfte des Marktes entfesselt statt reguliert werden, wollte man sich den Konkurrenten (China, Indien) der Globalisierung stellen.

Und das Ziel: Platz Eins - nicht mehr und nicht weniger. Soweit das von Klinsmannschen Optimismus geprägt war, war das in Ordnung. Doch dahinter steckte der europäische Glaube, man schreibe was nieder, dann werde es wirklich. Die Realität ist anders: der alte Kontinent wird abgehängt, ist wirklich das alte Europa. Aber es gibt noch eine Chance: Lissabon ist ja ein Prozess.

Der Prozess ist das Ziel

Prozess ist das Schlüsselwort der Eurokraten. Egal ob was geht oder nicht, ungebremst ist der Optimismus, wenn man nur zuwarte, dann werde es schon. Schließlich habe man sich ja die Zeit eingeräumt, um niemanden unter Druck zu setzen. Egal ob die Gäste wie in Barcelona nicht erscheinen. Das Treffen war trotzdem klasse. Egal ob die Aufholjagd in der Globalisierung erbärmlich zu scheitern droht. Die Lissabonagenda war trotzdem klasse. Denn eins ist in Europa immer gut: der Prozess. Ist er eröffnet worden, hat man schon Fakten geschaffen - die man für die Realität halten kann. Im Nahen Osten oder in der Globalisierung.