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Prozessauftakt gegen Ex-Premier des Kosovo

1. März 2007

Am Montag (5.3.) beginnt in Den Haag die Hauptverhandlung im Prozess gegen den ehemaligen Premierminister des Kosovo, Ramush Haradinaj. Dieser weist weiterhin alle Anschuldigungen zurück.

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Ramush Haradinaj nach seiner Wahl zum Premier (3.12.2004)Bild: AP

Vor genau drei Jahren hatte die Anklagebehörde des Internationalen Kriegsverbrechertribunals ICTY das Verfahren gegen Ramush Haradinaj eingeleitet - wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Mord, Vertreibung und Vergewaltigung. In einer vorbereitenden Sitzung am Donnerstag (1.3.) wies Haradinaj alle Vorwürfe zurück. Ein Teil der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) stand zwischen 1998 und 1999 unter seinem Kommando. Nun geht es um Verbrechen, die auf dem Territorium geschehen sind, das Haradinajs Truppen damals kontrollierten.

"Ich fahre in Urlaub"

Es ist schon die zweite Den-Haag-Reise von Ramush Haradinaj - weil Haradinaj sich im März 2005 dem Tribunal freiwillig stellte, durfte er die Zeit bis zum Prozessbeginn zuhause in Prishtina verbringen. Seit diesem Montag, (26.2.) sitzt er nun in Untersuchungshaft in Den Haag. Doch Haradinaj, Vorsitzender der Regierungspartei "Allianz für die Zukunft des Kosovo" und ehemaliger Premierminister, klang vor der Abreise nicht gerade wie jemand, der auf dem Weg ins Gefängnis ist: "Ich habe schon letztes Mal gesagt, dass ich in den Urlaub fahre, und dasselbe sage ich jetzt auch wieder. Ich hoffe, dass wir bald wieder beisammen sind. Ich hätte mir gewünscht, dass ich gehen kann, nachdem die Entscheidung für die Unabhängigkeit des Kosovo gefallen ist, aber ich bin mir bewusst, dass diese Entscheidung schon bald kommt. In diesem Sinne geht es mir gut. Wenn ich zurückkomme, möchte ich ein Kosovo sehen, dem es viel besser geht", so Haradinaj.

Gezielte Kampagne

Ob sein Optimismus jedoch gerechtfertigt ist, wird voraussichtlich in neun Monaten das Den Haager Kriegsverbrechertribunal entscheiden. Die Vorwürfe gegen ihn wiegen schwer: Es war zwischen dem 1. März und dem 30. September 1998, als Kämpfer der Guerillaarmee UCK erstmals in der südost-kosovarischen Region Dukagjini offen auftraten und Gebiete und die totale Kontrolle über Gebiete erlangen wollten, in die die serbische Polizei und Armee sich nicht mehr vorwagten. Oberkommandierender der UCK in dieser Region war damals Haradinaj. Die Anklageschrift wirft der UCK vor, in dieser Zeit in fünf Gemeinden gezielt eine Kampagne zur Vertreibung serbischer Zivilisten unternommen zu haben. Die Kampagne habe sich zudem gegen Angehörige der Minderheiten der Roma und Ägypter sowie gegen Albaner gewandt, die als Kollaborateure des Belgrader Regimes galten.

Zivilisten misshandelt

Explizit heißt es darin, eine Einheit mit dem Namen "Schwarze Adler" habe unter dem Kommando des Mitangeklagten Idriz Balaj in sechs Dörfern Zivilisten misshandelt und geschlagen, um sie aus ihren Häusern zu vertreiben. Und diese Einheit habe jene ermordet, die zurückgeblieben waren oder sich geweigert hatten, ihre Häuser zu verlassen. Mindestens 16 Zivilisten seien verhaftet, geschlagen und gefoltert worden und in einem provisorischen UCK-Hauptquartier in Jabllanice gefangen gehalten worden. Einer der Gefangenen ist nachweislich dort gestorben, die anderen werden vermisst. Zudem wirft die Anklage den "Schwarzen Adlern" vor, ein Flüchtlingslager in Baballoq nahe Decan angegriffen zu haben.

Die Anklage stützt sich auch auf die Ergebnisse einer forensischen Untersuchung serbischer Ermittler, die im September in einem Gebiet, das serbische Truppen zeitweise zurückerobert hatten, 39 Leichen fanden. Zahlreiche Opfer, so die Anklage, wurden als Zivilisten identifiziert: Serben, Roma und Albaner.

Immer noch einflussreich

Trotz der schwerwiegenden Beweislast war Haradinaj von Beginn des Verfahrens an bereit, sich dem Tribunal zu stellen. Noch im Monat der Anklageerhebung ging er freiwillig nach Den Haag und saß dann in Scheveningen bis Juni in Untersuchungshaft. Danach setzte ihn das Tribunal unter der Bedingung auf freien Fuß, dass er sich nur noch als Parteivorsitzender, nicht aber als Premierminister politisch betätigen dürfe. Zudem durfte er den Medien keine Interviews mehr gewähren.

Allerdings gaben sich in den letzten zwei Jahren internationale Vertreter im Hauptquartier seiner Partei und auch in seiner Villa im Diplomatenviertel Dragodan die Klinke in die Hand. Seinen starken politischen Einfluss im Kosovo hatte Haradinaj während der zwei Jahre abgemilderten Hausarrests nie verloren. Das illustriert auch die Aussage seines Nachfolgers im Amt, des Regierungschefs Agim Ceku, der neben Haradinaj einer der hochrangisten UCK-Kommandeure war: "Haradinaj wird mit seinen Genossen auch diese Schlacht gewinnen. Er wird sowohl seine, als auch die Unschuld seiner Kameraden beweisen und auch, dass unser Befreiungskampf sauber war."

Die Unterstützung durch Politik und Gesellschaft drückt sich zudem finanziell aus: Haradinajs Strafverteidiger Michael O'Reilly erklärte auf einer Pressekonferenz, dass die Vorbereitung der Verteidigung bislang 7,5 Millionen Euro gekostet habe und weitere Kosten in Höhe von bis zu zwei Millionen erwartet würden. Haradinajs Verteidigung wird im ersten Teil des Verfahrens vor allem Militärs und Militärexperten als Zeugen benennen, um die Umstände im Kriegsgebiet zu beleuchten und Haradinaj in einem günstigen Licht darzustellen. Die Anklage hingegen wird die Führungsverantwortung Haradinajs in den Mittelpunkt stellen.

Fabian Schmidt
DW-RADIO/Albanisch, 1.3.2007, Fokus Ost-Südost