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Organspende-Prozess startet

Fabian Schmidt19. August 2013

Vor einem Jahr kamen Manipulationen bei der Vergabe von Spenderorganen ans Licht. Jetzt beginnt der Prozess gegen einen Arzt. Opfer sind die Patienten: Die Spendenbereitschaft ist seitdem eingebrochen.

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Die Transplantation einer Niere (Foto: Al Hartmann/dapd)
Bild: AP

Vor knapp über einem Jahr erschütterte ein Organspende-Skandal Deutschland: Ende Juli 2012 hatte die Braunschweiger Staatsanwaltschaft bekannt gegeben, dass sie gegen einen ehemaligen Oberarzt des Göttinger Universitätsklinikums ermittle, einen heute 46 Jahre alten Transplantationsmediziner.

Der Arzt soll Krankenakten manipuliert und somit falsche Informationen an die Europäische Transplantations-Datenbank Eurotransplant weitergegeben haben. So habe er seinen Patienten einen schnelleren Zugang zu Spenderorganen verschafft. Der Arzt habe dazu mutmaßlich Laborwerte und Dialyseprotokolle gefälscht, um den Eindruck zu erwecken, dass seine Patienten besonders dringlich auf Spenderorgane angewiesen seien.

Dadurch könnte der Mediziner den Tod anderer Patienten auf der Warteliste zu verantworten haben: Die Anklage lautet auf versuchten Totschlag in elf Fällen und vorsätzliche Körperverletzung in drei Fällen. Der Anfangsverdacht, dass der Arzt auch Geld angenommen habe, erhärtete sich indes bei den Ermittlungen nicht.

Auch in Regensburg, München und Leipzig

Der Skandal brach eine regelrechte Lawine los. In den folgenden Monaten kamen zu den 25 ursprünglichen Verdachtsfällen in Göttingen weitere hinzu. Zunächst fiel der Verdacht auf einen ebenfalls in Göttingen tätigen Internisten, der an der Universität Bologna sein Medizinstudium abgeschlossen hatte. Brisant dabei: Von 99 Patienten, die zwischen 1995 und 1999 in Göttingen Lebern erhalten hatten, waren 23 Italiener. Ausgerechnet aus Bologna waren zahlreiche von ihnen nach Göttingen überwiesen worden.

Eine Organtransportbox (Foto: Jens Kalaene dpa/lbn)
Ohne Vertrauen bricht das Organspendesystem zusammen. Alle müssen gleiche Chancen haben.Bild: picture-alliance/dpa

Die Spur führte auch an das Universitätsklinikum Regensburg, wo der Angeklagte zwischen 2003 und 2008 tätig gewesen war. Dort soll nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" die Zahl der Lebertransplantationen ungewöhnlich stark angestiegen sein. In Regensburg seien wahrscheinlich jordanische Patienten verbotenerweise auf europäische Transplantations-Wartelisten gesetzt worden.

Die "Mittelbayerische Zeitung" berichtete seinerzeit, dass dies gerade zu einer Zeit geschah, als das Klinikum im Rahmen eines Kooperationsvertrags unter Schirmherrschaft der Landesregierung dabei war, die Leber-Transplantationsmedizin in Amman aufzubauen. In Regensburg wird nun unabhängig von dem Prozess in Göttingen gegen den Mediziner ermittelt.

Untersuchungen an allen deutschen Transplantationszentren

Aufgeschreckt durch den Skandal starteten die Ärztekammer und das Bundesgesundheitsministerium in den folgenden Monaten eine Untersuchung der 24 deutschen Transplantationskliniken. Und sie wurden fündig: Am Krankenhaus Rechts der Isar in München gab es Hinweise auf falsch angegebene Laborwerte und darauf, dass auch Patienten mit fortgeschrittenen Tumorleiden Spenderorgane erhalten hätten.

Elisabeth Pott (l-r), Vorsitzende der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Musiker Flo Bauer, Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) und der Chef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, halten vor der Bundespressekonferenz in Berlin ihre Organspendeausweise in der Hand (Foto: Wolfgang Kumm dpa/lbn)
Regierung und Kassen werben für die OrganspendeBild: picture alliance/dpa

Diese Patienten hätten eigentlich von der Transplantation ausgeschlossen sein müssen, so Bundesärztekammerpräsident Frank-Ulrich Montgomery. Der "Bayerische Rundfunk" zitierte Klinikmitarbeiter mit der Beobachtung, auch Alkoholkranke, die üblicherweise keine Spenderorgane erhalten, seien dort auf die Warteliste gesetzt worden.

Ende Juni 2013 leitete die Staatsanwaltschaft Leipzig auch ein Ermittlungverfahren gegen drei Ärzte am örtlichen Universitätsklinikum ein. Auch hier ging es um mutmaßliche Manipulationen von Laborwerten.

Bereitschaft zur Organspende gesunken

Leidtragende des Skandals sind nicht nur die Patienten, die unmittelbar durch den Betrug in der Warteliste nach unten gerutscht sind, sondern alle etwa 12.000 Patienten, die in Deutschland auf Spenderorgane warten. Seit dem Skandal ist nämlich die ohnehin schon geringe Bereitschaft zur Organspende noch einmal deutlich zurückgegangen.

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 gab es - im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres - 18,3 Prozent weniger Organspenden aus Deutschland, und das obwohl Regierung, Krankenkassen und Medien gerade in den vergangenen Monaten massiv für die Bereitschaft zur Organspende geworben hatten. Die Anzahl der Transplantationen ist im selben Zeitraum um 12,3 Prozent auf 1686 Operationen gesunken.

Hand mit Kugelschreiber füllt einen Organspende-Ausweis aus (Foto: Sean Gallup/Getty Images)
So bekunden Deutsche ihren Willen zur OrganspendeBild: Getty Images

In Deutschland dürfen Organe nur entnommen werden, wenn die Betroffenen noch zu Lebzeiten einer Entnahme nach dem Hirntod zugestimmt haben. Dazu gibt es einen Spenderausweis: ein scheckkartengroßes Stück Papier, auf dem die Menschen ihren Willen per Unterschrift bekunden können. Haben sie das nicht getan, können auch die nächsten Verwandten diese Entscheidung nach dem Tode noch treffen.

Kommt ein Transplantationsregister?

Der Skandal heizte eine Debatte um nötige Reformen im deutschen Transplantationssystem an. In dessen Folge hat der Bundestag das Transplantationsgesetz mehrfach verschärft - insbesondere die staatliche Aufsicht der Kliniken und die Strafen für Manipulationen. Politiker aller Fraktionen waren sich auch schnell einig, dass eine Praxis an Kliniken beendet werden müsse, bei der Ärzte für die Zahl der durchgeführten Transplantationen durch Provisionen oder finanzielle Leistungsanreize belohnt werden.

Außerdem hat das Bundesgesundheitsministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben, mit dem Ziel, ein bundesweites Transplantationsregister unter Verwendung fälschungs- und manipulationssicherer Patientenakten einzuführen. Bis Ende dieses Jahres soll das Gutachten vorliegen. Das Register könnte frühestens 2015 eingeführt werden.

Die juristische Aufarbeitung beginnt indes gerade erst: Am 19. August beginnt am Göttinger Landgericht der Prozess gegen den Transplantations-Chefarzt.