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Prys: "Mitglieder nutzen BRICS pragmatisch"

Pablo Kummetz15. Juli 2014

Das Bündnis BRICS hat keinen festen institutionellen Rahmen. Das, so die Politikwissenschaftlerin Miriam Prys, verringert zwar seinen Einfluss auf die Weltpolitik, könnte aber sein Bestehen verlängern.

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Brasilien Fortaleza BRICS Treffen 15.07.2014 (Foto: Reuters)
Zweckgemeinschaft: Die Staats- und Regierungschefs der BRICS-LänderBild: Reuters

Die lose Staatengemeinschaft aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, kurz BRICS, schickt sich an, ein Gegenpol zu den G7 der etablierten Industriestaaten zu werden. Um das voran zu treiben, sind die Staats- und Regierungschefs im brasilianischen Fortaleza zusammengekommen. Dass sich die Länder einander nicht so verpflichtet fühlen wie Partner in anderen Bündnissen, ist Vorteil und Schwäche zugleich, meint Miriam Prys. Im Gespräch mit der DW spricht die Politologin vom Hamburger GIGA-Institu tüber Zukunft, Zweck und Zwiespälte von BRICS.

Deutsche Welle: Frau Prys, die BRICS haben eine eigene Entwicklungsbank gegründet. Welche Aufgabe wird diese übernehmen?

Miriam Prys: Die Entwicklungsbank ist das zentrale Highlight des Gipfels. Es ist relativ klar, dass der inhaltliche Schwerpunkt auf der Förderung von Infrastrukturprojekten liegen soll. Weltbank und andere Experten schätzen die Finanzierungslücke in diesem Bereich auf 1 bis 1,5 Billionen US-Dollar. Die Einrichtung der Bank war daher in vielerlei Hinsicht erstrebenswert. Allerdings ist stark zu bezweifeln, dass sie kurzfristig oder mittelfristig signifikanten Einfluss auf die globale Finanzwirtschaft nehmen wird. Dafür sind wohl die Differenzen zwischen den BRICS-Staaten zu groß, und es fehlt ihnen an Erfahrung bei der Zusammenarbeit in gemeinsamen Institutionen.

Frau Dr. Miriam Prys (Foto: Werner Bartsch)
GIGA-Expertin Miriam PrysBild: Werner Bartsch

Welche geopolitische Bedeutung hat das sechste Treffen der Staats- und Regierungschefs der BRICS?

Bereits im Vorfeld haben insbesondere Vertreter Russlands die Bedeutung der BRICS als alternatives Forum zur NATO und anderen internationalen Institutionen hervorgehoben. Allerdings ist fraglich, ob sich die anderen BRICS-Staaten in die klar anti-amerikanische und anti-europäische Position Russlands hineinzwingen lassen. Genau das wird eine der spannendsten Fragen dieses Gipfels sein. Eine eindeutige Stellungnahme zur Verteidigung Russlands hätte enorme Auswirkungen auf das Verhältnis der übrigen Länder zu den USA und zur Europäischen Union. Ich bezweifle, dass insbesondere die demokratischen Staaten unter ihnen bereit sind, zugunsten Russlands große Risiken einzugehen.

Außenpolitisch haben die BRICS-Länder sehr unterschiedliche Positionen und Interessen. Hat das Bündnis eine Zukunft?

Die BRICS unterscheiden sich bezüglich ihrer Regierungssysteme, der wirtschaftlichen Ausrichtungen, ihrer kulturellen Vorstellungen und Werte. Das erschwert eine enge Zusammenarbeit insbesondere in sensiblen Bereichen wie Verteidigung und Handel. Die kurze Geschichte der BRICS zeigt allerdings, dass die Mitgliedstaaten die Institution sehr pragmatisch verstehen und nutzen: Wenn eine Zusammenarbeit als BRICS den jeweiligen nationalen Interessen entgegenkommt, ziehen sie - wie jetzt Russland im Ukraine-Konflikt - die BRICS-Karte. Wenn keine Einigkeit erzielt wird, geht jedes Land seinen eigenen Weg. Diese Form der Zusammenarbeit kann auf lange Zeit bestehen - dass sie die globale Ordnung und die globale Politik in vielen Bereichen prägen wird, halte ich dagegen für fraglich.

Zwei große BRICS-Mitglieder, China und Russland, haben autokratische Regierungen. Was bedeutet der Einfluss dieser beiden Länder für Brasilien und eventuell Argentinien?

Eine zu enge Bindung oder gar Anbiederung an China und Russland ist für Brasilien innenpolitisch eher problematisch, unter anderem wegen der zweifelhaften Menschenrechtslage dort. Aber Brasilien scheut sich ja auch nicht, eigene Wege zu gehen, zum Beispiel im Bereich Internet-Governance.

Den Einfluss einzelner Staaten mittels BRICS auf Argentinien schätze ich als nebensächlich ein, da alle lateinamerikanischen Staaten beim Gipfeltreffen vertreten sind.

China und Russland haben Nuklearwaffen und einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Resultiert daraus ein Ungleichgewicht innerhalb der BRICS?

Die BRICS beschäftigen sich vornehmlich mit den Politikbereichen Handel und Finanzen. Daher halte ich weder den Besitz von Nuklearwaffen, noch die ständige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat für ausschlaggebend für das Gleichgewicht innerhalb dieser Institution. Das wirklich problematische Ungleichgewicht besteht in der Marktgröße Chinas. Sie schürt Rivalitäten und mögliche Handelskonflikte, beispielsweise wenn zu viele billige Produkte aus China auf die nationalen Märkte der anderen fließen und einheimische Produzenten verdrängen.

Brasilien ist Mitglied der BRICS. Argentinien nähert sich der Gruppe an. Andere lateinamerikanische Länder halten sich fern. Zerfällt Lateinamerika in zwei Lager?

Ein "BRICS-Staat" zu sein, steht symbolisch für wirtschaftliche Entwicklung und globalen Einfluss. Daher kann man es anderen Staaten wie Argentinien, aber auch Ägypten, Mexiko, Indonesien oder der Türkei nicht verdenken, dass sie gerne zu diesem "exklusiven" Club gehören würden. Mit diesem Ruf steht BRICS aber auch im Verdacht, zur weiteren Marginalisierung der Länder in der zweiten oder dritten Reihe beizutragen. Der brasilianischen Regierung scheint das recht bewusst zu sein, denn sie hat die anderen südamerikanischen Regierungschefs zum Treffen in Fortaleza eingeladen. Eine Spaltung des lateinamerikanischen Lagers dürfte wohl zumindest von diesem BRICS-Gipfel nicht ausgehen.

Miriam Prys forscht am GIGA - Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg im Bereich "Macht, Normen und Governance in den internationalen Beziehungen".

Das Gespräch führte Pablo Kummetz