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Putin ohne Schuldgefühle

7. September 2004

Die Tragödie von Beslan rückt den Tschetschenienkonflikt wieder in den internationalen Fokus. Putin aber verwehrt sich Überlegungen aus dem Ausland. Dabei wird nun auch der Druck der Bevölkerung immer stärker.

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Versteinertes Gesicht: Putin bei seiner Fernsehansprache zu BeslanBild: AP

Nach offiziellen Angaben wurden bei dem Geiseldrama in der Schule in Beslan mindestens 335 Menschen getötet, die Hälfte von ihnen waren Kinder; mehr als 500 Menschen wurden verletzt. In einem Bericht des russischen Staatsfernsehens bestätigte ein festgenommener Geiselnehmer die Version des Kremls zu den Hintergründen des Geiseldramas. Auftraggeber seien der tschetschenische Ex-Präsident Aslan Maschadow und der Topterrorist Schamil Bassajew gewesen, berichtete der Geiselnehmer. Man habe mit der Bluttat den Konflikt in Tschetschenien auf den gesamten Nordkaukasus ausweiten wollen, sagte der aus Tschetschenien stammende Mann.

Putin kündigte an, er werde den Kurs seiner Politik im Nordkaukasus nicht ändern. Die tschetschenischen Rebellen dürften keine Chance bekommen, die Macht zu übernehmen.

"Keine Gespräche mit Kindermördern"

In einem Gespräch mit ausländischen Korrespondenten sprach sich Putin für eine politische Lösung des Tschetschenien-Konflikts aus. Der Dialog mit der "Zivilgesellschaft" werde fortgesetzt. Dazu zähle auch die Abhaltung von Parlamentswahlen. Einen Zusammenhang zwischen seiner Tschetschenien-Politik und dem Geiseldrama von Beslan wollte Putin nicht erkennen. Auch schloss er jede Verhandlung mit tschetschenischen Nationalisten aus: "Warum treffen Sie sich nicht mit Osama bin Laden, laden ihn nach Brüssel oder ins Weiße Haus ein, verhandeln mit ihm, fragen ihn, was er will und geben es ihm, damit er Sie in Frieden lässt", lautete seine sarkastische Antwort. Niemand habe das Recht, "von uns Gespräche mit Kindermördern zu verlangen".

Der niederländische EU-Ratspräsident Bernard Bot hatte von der russischen Regierung eine Erklärung für das gewaltsame Ende der Geiselnahme verlangt. Frankreich forderte eine Erklärung der harten Tschetschenien-Politik Russlands.

Landesweite Anti-Terror-Kundgebungen

In Moskau bereiten sich die Sicherheitsbehörden auf eine vom Kreml, dem Rathaus und den staatlichen Gewerkschaften organisierte Kundgebung gegen den Terrorismus vor. Die Organisatoren rechnen mit rund 100.000 Teilnehmern. Im Vorfeld herrschen extrem strenge Sicherheitsmaßnahmen. Teilnehmer müssen bereits zwei Stunden vor der Kundgebung eine ganze Reihe von Kontrollen über sich ergehen lassen.

Russische Medien reagierten mit Ironie auf die von oben verordnete Kundgebung. Die Zeitung "Iswestija" titelte: "Das Treffen wird sich nicht gegen die Regierung richten" und kommentierte, die Botschaft der Organisatoren sei klar: "Keine kritischen Fragen an die Regierung, nur an sich selbst". Nach Auffassung des Wirtschaftsblatts "Wedomosti" hatten die Menschen auf spontane Kundgebungen verzichtet, weil sie verstanden hätten: "Man darf die Regierung nicht verärgern, ihr keine Fragen zu Tschetschenien stellen, weil sich der Präsident sonst aufregt."

In unzähligen Städten und Dörfern Russlands zehntausende Menschen zu Anti-Terror-Kundgebungen versammelt. Bei den Veranstaltungen verurteilten Politiker und Gewerkschafter die Aktionen der Terroristen gegen Frauen und Kinder, wie die russischen Agenturen berichteten.

In Wladikawkas, rund 30 Kilometer nördlich von Beslan, versammelten sich am Dienstag (7.9.2004) hunderte Menschen, um gegen Terrorismus zu demonstrieren. "Korruption ist eine Quelle des Terrors", stand auf einem Plakat. Auf Flugblättern wurde der nordossetische Präsident Alexander Dsasochow zum Rücktritt aufgefordert. "Heute beerdigen wir unsere Kinder, und morgen kommen wir hierher und jagen diese Teufel aus ihren Ämtern, vom untersten Abteilungsleiter über Minister bis zum Präsidenten", sagte ein Sprecher. Die Einwohner von Beslan kündigten unabhängige Untersuchungen an, die klären sollen, wie es zu dem katastrophalen Ende der Geiselnahme kam. (ch/kas)