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"Putin will in Russland ein Zweiparteien-System installieren"

6. September 2007

Im Interview mit DW-RADIO spricht Russlandexperte Alexander Rahr über die zu erwartende Dominanz der kremltreuen Parteien in der zukünftigen Duma, scheinbare Vielfalt und die Fehler der Oppositionskräfte.

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Alexander RahrBild: DW

DW-RADIO/Russisch: Herr Rahr, die meisten Beobachter rechnen bei der Parlamentswahl im Dezember mit einem Sieg der Kreml-Partei "Einiges Russland". Es stelle sich nur die Frage, ob sie mehr als die Hälfte der Sitze in der Staatsduma erhält oder ob sie ein Bündnis mit der ebenfalls kremltreuen Partei "Gerechtes Russland" wird eingehen müssen. Was meinen Sie?

Alexander Rahr: Meiner Meinung nach wird die Duma tatsächlich aus zwei Haupt-Parteien bestehen – "Einiges Russland" und "Gerechtes Russland". Putin geht, aber im Lande will er ein Zweiparteien-System installieren: Es wird eine herrschende Partei geben, die die Regierung bilden wird, sowie eine sehr starke Opposition, die in irgendeiner Weise die Staatsmacht ausbalancieren soll, damit in Russland nach Putins Abtritt nicht ein Einparteien-System entsteht. Deshalb wird die Staatsmacht alles unternehmen, damit die zweite Partei des Kremls, "Gerechtes Russland", auch genug Sitze im Parlament bekommt und damit die Partei "Einiges Russland" nicht die absolute Mehrheit in der Duma erhält.

Aber die Funktion von "Gerechtes Russland" als Oppositionspartei wäre nur formal...

Zunächst, natürlich, ja. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie sich trotzdem in irgendwelchen Nuancen von der Partei "Einiges Russland" unterscheiden wird. Im Jahr 2003 waren alle Beobachter der Ansicht, dass in Russland faktisch ein Einparteien-Parlament geschaffen wurde. Aber die zweite Partei "Heimat", die damals vom Kreml geschaffen wurde, ging in Opposition zur Partei "Einiges Russland". Dasselbe wird mit der Partei "Gerechtes Russland" geschehen. Ich denke, dass sich die Partei "Gerechtes Russland" bemühen wird, die Kommunisten sowie die sozialdemokratisch und sozialistisch ausgerichteten Parteien unter ihren Flügeln zu vereinigen. Und die Partei "Einiges Russland" wird sich gemäßigten und liberalen Parteien öffnen. Aber das ist das ideale Bild. Ob dies in der Praxis so gelingen wird, ist natürlich schwer zu sagen. Das Problem besteht darin, dass faktisch über allen Parteien, die ins Parlament einziehen werden, die administrativen Ressourcen des Kremls hängen werden. Diese Parteien werden irgendwo auch von einem Zentrum aus kontrolliert werden – vielleicht von Wladislaw Surkow, dem stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung, und nach den Wahlen vom Präsidenten selbst, vielleicht von jemand anderem...

Was steht dem Einzug der demokratischen Parteien ins Parlament im Wege? Sie sind von den politischen Entwicklungen praktisch ausgegrenzt und haben ihren Einfluss verloren.

Das stimmt so nicht ganz. Irgendwelche Entwicklungen gibt es trotzdem, die nicht mit dem Willen des Kremls zusammenhängen. Ich denke, dass die liberalen Parteien an vielem selbst schuld sind, dass sie nicht in der Lage waren, sich auf einen gemeinsamen Führer, auf eine vereinigende Partei zu einigen. Bis heute liegen sie alle im Streit. Gemeinsam kommen sie nicht auf mehr als drei Prozent der Wählerstimmen.

Man muss ehrlich zugeben, dass es in der russischen Gesellschaft absolut keine Sympathien für liberale, demokratische Ideen mehr gibt, so, wie es Anfang der 90er Jahre war. Die Menschen wollen Stabilität, ein beständiges politisches System. Deswegen werden sie eher für die Parteien "Gerechtes Russland" und "Einiges Russland" stimmen. Die Demokraten sollten daraus ihre Schlüsse ziehen. Ihre Taktik sollte künftig sein, in die so genannten herrschenden Parteien hineinzugehen, sich zu bemühen, deren Ideologie im eigenen Sinne zu verändern, in den Parteien zu arbeiten, Flügel und Fraktionen innerhalb der großen Parteien zu bilden. Ich denke, dass es solche Möglichkeiten geben wird.

Das Gespräch führte Sergej Wilhelm
DW-RADIO/Russisch, 4.9.2007, Fokus Ost-Südost