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Putins Irrtum

Ingo Mannteufel15. September 2004

Russlands Präsident Putin hat eine weitgehende Reorganisation des politischen Systems angekündigt. Kann dadurch der russische Staat effektiver und die Bürger vor erneuten Terroranschlägen geschützt werden? Ein Kommentar.

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Schon kurz nach der barbarischen Tat tschetschenischer Terroristen in Beslan kündigte Russlands Präsident Putin Veränderungen in der russischen Staatsstruktur an. Nun hat er deutlich gemacht, was er ändern will, um eine neue Krise wie in Beslan zu verhindern. Die Gouverneure und Präsidenten der 89 Teilrepubliken und Gebiete der Russischen Föderation - wie Russland offiziell heißt - sollen künftig von ihm ernannt und vom regionalen Parlament bestätigt werden. Die bisherige Direktwahl der Gouverneure wird damit abgeschafft.

Weniger Demokratie, mehr Zentralismus

Der sich seit einem Jahrzehnt mit Höhen und Tiefen entwickelnde russische Föderalismus erleidet damit einen heftigen Rückschlag. Russland würde nun völlig zentralistisch aus Moskau regiert. Das Vorhaben schwächt tief greifend die Entwicklung einer russischen Demokratie. Sicher waren schon jetzt viele der Gouverneurswahlen durch politische Manöver der Moskauer und regionalen Elite beeinflusst. So manche Wahl war eine Farce und viele russische Bürger verloren daran ihr Interesse. Dennoch: Mit der völligen Abschaffung der Gouverneurswahlen wird nicht nur eine Möglichkeit der regionalen Mitsprache genommen. Vielmehr verlieren die Bürger ein wichtiges Lernfeld für demokratische Prozesse. Wie sollen die Russen eine eigene Form der Demokratie entwickeln, wenn immer weniger Wahlen stattfinden?

Putins zweites Vorhaben ist ein neues Wahlgesetz für das russische Parlament. Künftig sollen alle 450 Sitze in der Staatsduma über Parteilisten nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden. Bislang wurde die Hälfte der Abgeordneten als Einzelkandidaten über das Mehrheitswahlrecht in einem der 225 Wahlkreise bestimmt. Die Folge dieses neuen Wahlverfahrens ist eine weitere Stärkung der Pro-Putin-Partei "Einiges Russland", die schon bei der Wahl im Dezember 2003 eine Zweidrittelmehrheit errungen hat. Die schon jetzt geringen Ansätze eines politischen Pluralismus in Russland würden noch kleiner.

Putins Irrtum

In Kontinuität seiner Versprechen seit 1999 plädiert Putin auch nach Beslan für eine Stärkung des Staates. Sein Ziel eines effektiveren Staates ist verständlich, denn nur ein starker Staat kann seine Bürger beschützen. Doch Putin setzte und setzt auch jetzt wieder primär darauf, seine Macht als Präsident auszubauen. Ihm geht es nicht darum, die Effizienz der einzelnen staatlichen Institutionen zu stärken.

Putins Irrtum ist es, Demokratie mit Schwäche und zentralistische Befehlsketten von oben nach unten mit Stärke zu verwechseln. Schon bisher folgte seine Politik dem Prinzip, unabhängige Machtzentren in der russischen Politik und Gesellschaft gezielt zu schwächen oder gar auszuschalten - angefangen von den Medien über die Gouverneure, die Parteien und die Legislative bis hin zu den superreichen Russen wie dem Yukos-Eigner Michail Chodorkowski.

Mittlerweile gibt es in diesem Riesenland mit seinen immensen sozialen, ökonomischen und politischen Problemen nur noch einen wirklichen Entscheidungsträger, und zwar Putin. Das Ergebnis ist kein moderner und effektiver Staat, sondern ein schwacher, unsicherer und korrupter Staat, dessen Amtsträger sich nach Möglichkeit aus der Verantwortung stehlen. Das war auch in Beslan zu sehen.