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Putins PR-Erfolg

Miodrag Soric30. Mai 2003

Der 300. Geburtstag von St. Petersburg ist einzigartig - noch nie sind zum Jubliläum einer Stadt, die nicht einmal Hauptstadt ist, so viele Staats- und Regierungschefs angereist. Es kommentiert Miodrag Soric.

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Politiker dieser Welt: Sie sind sich selbst alles! An diesem Wochenende (30.5.-1.6.) werden über 40 Staats- und Regierungschefs bei den 300-Jahr-Feierlichkeiten in Sankt Petersburg zusammenkommen und sich sonnen - im Blitzlicht der Fotografen und Fernsehscheinwerfer. Sie werden an langen Banketts sitzen, lächeln, Freundlichkeiten austauschen, einander auf die Schulter klopfen. Niemand wird es wagen, die zur Schau gestellte gute Laune durch ein nachdenkliches Wort zu stören. Die hohen Gäste sind an die Stadt an der Newa gekommen, um dem Gastgeber, also dem russischen Präsidenten, einen Gefallen zu tun. Wladimir Putin hat einen eindrucksvollen PR-Sieg errungen.

Bleibt die Frage, was die Menschen in Russland davon haben? Anders formuliert: Sind die rund 1,5 Milliarden Dollar, die das Streichen der Häuserfassaden und die Instandsetzung der Straßen von Sankt Petersburg wie auch die Organisation des Gipfels den russischen Steuerzahler kosten, gut angelegtes Geld? So merkwürdig es für westliche Ohren auch klingen mag: Die meisten Russen werden diese Frage wohl bejahen. Ohne den Gipfel wäre noch nicht einmal das geschehen, argumentieren sie nicht zu Unrecht. Russland war noch nie ein Land der wohl durchdachten, stetigen Reformen. Wenn reformiert wurde, dann schnell, quasi gewaltsam, und nicht immer zum Nutzen der Bürger. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass in Russland noch keine Reform zuende geführt worden ist. Auch heute noch bleibt vieles Stückwerk: sei es bei der Einführung der Marktwirtschaft, bei der Durchsetzung von Demokratie und der Achtung von Menschenrechten im ganzen Land - also auch in Tschetschenien.

Bekanntlich ist Putins politisches Vorbild Zar Peter der Große, der Gründer von Sankt Petersburg. Beiden Politikern war und ist die imperiale Macht Russlands - und übrigens auch deren zur Schaustellung - wichtig. Beide Politiker trieben die Modernisierung und die Europäisierung Russlands voran. Zar Peter der Große mit der Gründung der "Hauptstadt des Nordens" und Präsident Putin, indem er in den vergangenen Monaten die Außenpolitik seines Landes mehr an den europäischen und weniger an den amerikanischen Interessen ausrichtet. Seine Opposition zum Irak-Krieg der Amerikaner dokumentierte dies eindrucksvoll. Freilich ist auch hier Dankbarkeit keine Kategorie in der Politik: So sehr die EU-Staaten ein gutes Verhältnis zu Moskau wünschen, so sehr sind sie sich darin einig, dass selbst langfristig Russland nicht Mitglied der Europäischen Union werden kann. Das Land sei dafür einfach zu groß, sagte unlängst Kommissionspräsident Romano Prodi. Während in Sankt Petersburg der Krim-Sekt fließt, verhandeln Russen und Europäer zäher denn je über die Frage, wie die Bestimmungen zur Vergabe von Visa an Russen erleichtert werden könnten.

Europäer und Russen verstehen einander nicht. Die Europäer irritiert die Brutalität, mit der die russischen Sicherheitskräfte im Kaukasus vorgehen. Sie können sich nicht damit anfreunden, dass der Kreml die Presse drangsaliert oder sich gleichgültig zeigt gegenüber morschen Öl-Pipelines, die riesige Gebiete verseuchen. Gleichzeitig betrachten sie Russland als europäisches Land, Sankt Petersburg als europäische Stadt und Teil der abendländischen Kultur. Russlands Politiker sind es nicht gewohnt, sich westlichen Ansprüchen zu fügen, beanspruchen für das russische Imperium eigene Maßstäbe. Auf dem Weg in den Westen, in die zivilisierte Völkergemeinschaft, ist Russland in den vergangenen Jahren ein großes Stück vorangekommen. Moskau wandelte sich von Paria zum Partner. Putin sollte bei den Feierlichkeiten in Sankt Petersburg nicht zu oft das russische Imperium beschwören: Finnen, Balten oder Polen denken mit gemischten Gefühlen an die großrussische Vergangenheit.

Letztlich ist das Treffen der Polit-Prominenz an der Newa auch Balsam auf die wunde russische Seele, die es zum Teil immer noch nicht verwunden hat, dass die Sowjetunion und der damit verbundene Supermacht-Status der Geschichte angehören. Die Fernsehbilder, die in diesen Tagen in die russischen Wohnzimmer getragen werden, besagen auch: Schaut her, wir Russen sind wieder wer! Das wiederum sorgt dafür, dass die Popularitäts-Werte von Putin neue Höhen erklimmen. Ein halbes Jahr vor den Parlaments- und ein dreiviertel Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen passt ihm das sicherlich gut ins Konzept.