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Rekord-Sprechstunde

4. Dezember 2009

Die Sprechstunde des russischen Ministerpräsidenten Putin hat mehr als vier Stunden gedauert. Das ist aber nicht überraschend, offenbart sich doch hier die Quelle der Macht Putins, meint Ingo Mannteufel.

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Ingo Mannteufel (Foto: DW)
Ingo Mannteufel

Mehr als vier Stunden stand der russische Ministerpräsident Wladimir Putin in einer landesweit über Radio, TV und Internet übertragenden Fernsehsprechstunde den russischen Bürgern Rede und Antwort. Das ist nicht nur von der Zeit her rekordverdächtig, sondern wirklich eine Leistung: Seine Antworten auf die von den Zuschauern meist direkt gestellten Fragen verdeutlichten seine politischen Überzeugungen und sein Detailwissen über alle Lebensbereiche Russlands - von sozialen Fragen über volkswirtschaftliche Probleme bis hin zu den Besonderheiten einzelner Unternehmen und regionaler Wirtschaftsstrukturen des Riesenlandes.

Das ist auch nicht erstaunlich, denn als russischer Ministerpräsident ist er laut Verfassung vor allem für die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes formal zuständig. Aus europäischer Sicht betrachtet, waren daher weniger die einzelnen Antworten auf die vielen Fragen der russischen Bürger interessant, als vielmehr ein genereller Aspekt.

Mit dieser bombastisch inszenierten Fernsehsprechstunde hat Wladimir Putin noch einmal ganz klar unterstrichen, dass er die Nummer 1 in Russland ist, egal welchen Titel er trägt und welche Kompetenzen er laut russischer Verfassung hat. In aller Deutlichkeit schloss er auch nicht aus, 2012 wieder ins Präsidentenamt zurückzukehren, wobei er sich erst einmal an die Spielregeln der Tandem-Demokratie halten will, und die lauteten in dem Fall: Während der russische Präsident Dmitri Medwedew auf Staatsbesuch in Italien war und sich dort um die außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Interessen Russlands bemühte, sprach Putin direkt mit dem Volk. Hinter dieser Art der Arbeitsaufteilung steckt jedoch noch viel mehr.

Der europäisch gewandte und modern auftretende Jurist Medwedew positioniert sich als attraktiver Gesprächspartner für Europa und westliche Investoren. Zugleich versucht er in Russland die von Putin in den letzten Jahren eher verschreckte großstädtische und kreative Intelligenzija für sich zu gewinnen, und dazu genügen sein Videoblog oder die Publikation eines programmatischen Aufsatzes bei einem führenden Online-Medium, um seine Rede zur Lage der Nation vorzubereiten.

Ministerpräsident Putin bedient dagegen mit dem im letzten Jahrzehnt entwickelten Image eher die Wünsche und Sehnsüchte der breiten russischen Bevölkerung. Er ist streng und kümmert sich um die kleinen und großen Probleme der Menschen. Und, dass dies wirkt, zeigt sich immer wieder bei den hohen Popularitätswerten von Putin in Russland - erst recht jetzt in der Wirtschaftskrise.

Der Grund für Putins Popularität liegt dabei nicht in den einzelnen konkreten politischen Beschlüssen. Die von ihm geführte Regierung erhält übrigens bei Umfragen keine besonders hohen Zustimmungswerte. Vielmehr liegt es an dem für die russische politische Kultur erfolgreich entwickelten Image von Putin. Zur Festigung dieses Images sind solche Fernsehsprechstunden, in denen Putin als strenger aber gerechter Landesvater - als echter "Chosjain" - rüberkommt, absolut notwendig. Es ist daher verständlich, dass sich Putin dafür auch vier Stunden Zeit nimmt.

Autor: Ingo Mannteufel

Redaktion: Kay-Alexander Scholz