1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Qiu Xiaolong: Schwarz auf Rot

Klaudia Prevezanos15. November 2005

Mord an einer Dissidentin in Schanghai. Ihr viel beachteter (und rasch verbotener) Roman bringt Oberinspektor Chen auf eine literarische Fährte.

https://p.dw.com/p/1CpCe

Schon in seinen ersten beiden Romanen "Tod einer roten Heldin“ und "Die Frau mit dem roten Herzen“ beschreibt Autor Qiu Xiaolong gerne appetitliche Speisen seiner chinesischen Heimat. In "Schwarz auf Rot“ wird der Leser in dieser Hinsicht wieder nicht enttäuscht, wenn einem auch nicht bei jeder Spezialität das Wasser im Munde zusammenläuft. Die meisten eingestreuten Beschreibungen von Mahlzeiten in dem Roman klingen aber wieder sehr verlockend.

Buchcover: Qiu Xiaolong - Schwarz auf Rot

"Schwarz auf Rot“ ist der dritte Fall des Protagonisten Oberinspektor Chen Cao: Ein Schanghaier Polizist, der sehr gut Englisch spricht und eigentlich lieber als Dichter arbeiten würde. Außerdem scheint er optisch eine Art asiatischer James Bond zu sein, wenngleich Frauen gegenüber absolut zurückhaltend.

Politische Dimension

Worum geht es diesmal: In einem Shikumen-Haus wird die Dissidentin Yin Lige ermordet. Shikumen sind traditionell gebaute chinesische Häuser mit mehreren einzelnen Zimmern. Weil Wohnraum in chinesischen Großstädten wie Schanghai knapp ist, leben heutzutage in diesen Gebäuden fünfzehn oder mehr Familien, jeweils in einem Raum. Die Ermordete lebte in einem der unbeliebtesten Zimmern: Eine Kammer auf dem Treppenabsatz, an der ständig Menschen vorbeikommen. Ähnlich unbeliebt wie diese Art des Zimmers war auch die Tote unter den Hausbewohnern. Sie zog sich von allem zurück und gab sich bei den seltenen Kontakten mit den Nachbarn unfreundlich.

Während der Kulturrevolution hat Yin Lige den zur Landarbeit verbannten Dichter Yan Bing geliebt. Nach seinem Tod schrieb sie einen viel beachteten und bald verbotenen Roman über diese ebenfalls verbotene Liebensgeschichte. Wegen Yins Vergangenheit bekommt der Mord schnell eine politische Dimension. Doch Oberinspektor Chen Cao ermittelt nur hier und da mit. Denn er hat einen lukrativen Auftrag vom Chef der New World Group bekommen. Er zahlt Chen einen fürstlichen Lohn dafür, dass er ihm Geschäftsunterlagen ins Englische übersetzt. Dass dies nicht der einzige "Gefallen“ ist, den Chen ihm tun soll, wird sich später noch herausstellen.

Alte Bekannte und Langeweile

Die meiste Arbeit in diesem Fall macht Chens Assistent Yu Guangming. Der Hauptwachtmeister ermittelt unter den Hausbewohnern, denn ein Außenstehender kann als Täter ausgeschlossen werden, und am Ende ist es dann der Gärtner gewesen. Also jedenfalls fast.

Wer die Romane über den Schanghaier Kommissar noch nicht kennt, die bedächtige Erzählweise und die eingeflochtene Lyrik, kann sich für das Buch womöglich so begeistern wie der Leser des ersten Falls. Ansonsten hat "Schwarz auf Rot" das typische Problem des zweiten Folgeromans: Man trifft alte Bekannte wieder - Oberkommissar Chen, Hauptwachtmeister Yu, seine Frau Peiquin und Sohn Qinqin sowie Parteisekretär Li - und dann: wird es etwas langweilig. Die Konstellation der Figuren hat sich kaum geändert, ihre Art zu handeln ebenfalls nicht.

Der eigentliche Fall plätschert von Anfang an dahin, bis zur Hälfte des Buches tritt die Geschichte auf der Stelle. Es gibt wenig Entwicklung, außer den bekannten Tatsachen: Yin ist tot, sie hatte eine Beziehung zu Yan, Chen ringt mit der Übersetzung und den Reizen seiner vorübergehenden Sekretärin Weiße Wolke und Hauptwachtmeister Yu ringt mit seiner Benachteiligung durch das neue politische und kapitalistische System.

Qiu Xiaolong in Gijon
Qiu XiaolongBild: picture alliance / dpa

Alltagsleben in Schanghai

Schön zu beobachten ist immerhin, was sich im Leben der Romanfiguren an Kleinigkeiten seit Buch eins und zwei verändert hat: Das Vorhandensein und Benutzen eines Telefons ist in "Schwarz auf Rot“ selbstverständlicher geworden, und es gibt sogar Mobiltelefone - nicht nur für Parteisekretäre. Auch Chen, im ersten Roman noch reich an Intellekt und Bildung, aber nicht an Materiellem, ist zu gewissem Wohlstand gekommen. Daneben gibt es immer wieder Einblicke in das alltägliche Leben Schanghais. Wer weiß schon, dass es im Chinesischen für Worte wie Marketing keine Entsprechung gibt? Zudem kann es passieren, dass ein Gast, den man gar nicht so gut kennt, einen in der eigenen Wohnung fragt, ob er bitte die heiße Dusche benutzen könne. Und weil diese Art von Luxus so selten ist, teilt man sie dann auch. Das sind nette und interessante Details, aber auch nicht mehr.

Qiu Xiaolong wurde 1953 in Schanghai geboren und ist Übersetzer, Lyriker und Kritiker. 1988 reiste er in die USA und kehrte nach dem Massaker auf dem "Platz des himmlischen Friedens“ im Juni 1989 nicht mehr nach China zurück. Seit 1994 lehrt er laut Zsolnay-Verlag an der Washington Universität St. Louis chinesische Literatur und Sprache. Mit seinen ersten beiden Chen-Romanen (2003 und 2004 auf Deutsch erschienen) hatte er großen Erfolg. Allerdings sagen China-Kenner, dass der Autor die Verhältnisse im Land nicht mehr wirklich kenne, weil er nur ab und zu Besuche abstatten darf. Es bleibt abzuwarten, ob Qiu in seinem vierten Roman die Kurve kriegt, und seinen treuen Lesern wieder mehr Überraschendes bieten kann.

Qiu Xiaolong
Schwarz auf Rot
Zsolnay, 2005
ISBN 3-552-05351-4
EUR 19,90