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Qobo: "Schritte in die richtige Richtung"

Ludger Schadomsky25. März 2013

Die BRICS-Staaten wollen ökonomisch unabhängiger vom Westen werden. Südafrika sei zwar wirtschaftlich ein Winzling, liege in wichtigen Bereichen aber vor seinen Partnern sagt der Politikwissenschaftler Mzukisi Qobo.

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Mzukisi Qobo, Politischer Analyst und Brics-Experte, Universität Pretoria, Südafrika Foto: privat
Bild: privat

DW: Der Chefvolkswirt von Goldman Sachs, Jim O'Neill, hat den Begriff BRIC geprägt. Die Initialen stehen für Brasilien, Russland, Indien und China. Beim Beitritt Südafrikas 2011 zu dieser Gemeinschaft sagte O'Neill, dass das Land "nicht zu den BRIC-Staaten gehört, dass der Beitritt falsch ist und dass Südafrika die BRIC-Gruppe nach unten ziehen wird". Würden Sie dem im Nachhinein zustimmen?

Mzukisi Qobo: Nein, dem stimme ich nicht zu. O'Neill betrachtete die BRIC-Staatengruppe damals aus der sehr eng gefassten Perspektive des BRIC-Index, den der Finanzdienstleister Goldman Sachs ins Leben gerufen hatte. Aber die eigentliche Motivation der BRIC-Gründungsstaaten war der Wunsch nach mehr diplomatischem Gewicht in der Weltpolitik - vor allem bei der Reform des internationalen Finanz- und Währungssystems. Sie sahen ihre Einflussmöglichkeit nicht in der Summe ihrer Wirtschaftskraft, sondern auch hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft in verschiedenen multilateralen Foren. Gemäß O'Neill - und dem auf Investoren konzentrierten BRIC-Index - ist Südafrika nicht qualifiziert. Aber im Sinne eines "diplomatischen Indexes" besteht kein Zweifel, dass Südafrika zu dieser Staatengruppe gehört, wenn man also der Tatsache Rechnung trägt, dass Südafrika eine Regionalmacht auf dem afrikanischen Kontinent ist und sehr aktiv in verschiedene, multilaterale Prozessen eingebunden ist, wie etwa bei der Welthandelsorganisation und den zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20).

Eine Studie der deutschen Bertelsmann-Stiftung fand heraus, dass Südafrika innerhalb der BRICS-Staaten bei den Themen Bildung, Gesundheitspolitik, Arbeitslosigkeit und soziale Gleichheit ganz am Ende rangiert. Und das, obwohl die Regierung - relativ gesehen - mehr Geld in diesen Bereichen ausgibt als die anderen BRICS-Staaten. Kann Südafrika hier aufschließen?

In diesen Themen hängt Südafrika ganz klar hinterher. Aber es konnte von den anderen BRICS-Partnern profitieren und lernen, wie es am besten seinen Bildungssektor reformiert, Bildungskapital entwickelt und bessere Erfolge erzielt. Erwähnenswert ist aber auch der Bericht des Weltwirtschaftsforums zum globalen Wettbewerb: Dort steht Südafrika in wichtigen Bereichen vor den meisten anderen BRICS-Staaten - etwa bei der Kompetenz von Unternehmen, im Finanzsektor, beim Schutz geistigen Eigentums und im Bereich Innovation. Auch beim "Doing-Business"-Ranking der Weltbank liegt Südafrika vor Ländern wie Russland, Indien und Brasilien. Südafrikas Wirtschaft ist im Vergleich mit anderen BRICS-Länder zwar winzig; aber man darf auch nicht vergessen, dass es den BRICS-Staaten hauptsächlich um einen diplomatischen Zusammenschluss geht, der sich sowohl auf die Wirtschaftskraft als auch auf gemeinsame Werte seiner Mitglieder konzentriert. Südafrika liegt mit seinem Bruttoinlandsprodukt von 8000 US-Dollar pro Kopf über dem von China mit 6000 US-Dollar. Außerdem liegt Südafrikas Börsenhandel weit vor dem der anderen BRICS-Staaten.

Der Mangel an politischem Reformwillen gilt als einer der wenigen Faktoren, der die BRICS-Staaten eint. Passt die südafrikanische Regierungspartei ANC in diesem Sinne in die BRICS-Gruppe?

Es stimmt, dass es in der derzeitigen ANC-Regierung wenig Anzeichen für tiefer gehende politische und demokratische Reformen gibt. Da ist das Informationenschutzgesetz, das der ANC vorgeschlagen hat. Und die Geißelung der Justiz als "konterrevolutionär", sowie das Mobbing gegen unabhängig denkende Menschen in Führungspositionen und die Bedrohung der künstlerischen Ausdrucksfreiheit - das alles sind Beispiele dafür. Aber die freiheitliche Verfassung von Südafrika steht unangefochten an erster Stelle und kann vom Parlament nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden. Die Justiz hat sich in vielen Fällen gegen Vorhaben der Regierung ausgesprochen. Die Verfassung bleibt ein wichtiger Schutz vor potentiellen Übergriffen der Regierung. Die südafrikanische Presse ist frei und kritisch. Viele Bürger haben ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein. Es gibt viele unabhängige Freiwilligen-Organisationen, die der Regierungspartei sehr kritisch gegenüberstehen. Im Vergleich zu anderen BRICS-Staaten schneidet Südafrika immer noch besser ab. Beunruhigend ist aber die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm und die steigende Korruption.

Südafrika hat mit Nigeria um die Aufnahme in die BRICS-Gruppe konkurriert. Manche sahen Nigerias wirtschaftliche Zukunft weit vor der Südafrikas. War Südafrikas Aufnahme zum damaligen Zeitpunkt eine vernünftige Entscheidung?

Ja, das war sie. Nigerias politisches System ist chaotisch. Die Funktionsweise der Institutionen und der Infrastruktur kann in keiner Weise mit der Südafrikas verglichen werden. Die Wirtschaft ist weniger diversifiziert und sehr abhängig vom Rohstoff-Abbau. Korruption ist weit verbreitet, und eine effektive Wirtschaftspolitik gibt es. Zweifelsohne wird Nigerias Wirtschaft Südafrika bald überholen, aber die Gestaltung des Landes hängt von weit mehr ab - etwa davon, dass das Land seine politischen Institutionen in Ordnung bringt, was noch mehr als zehn Jahre dauern könnte. Nigeria hat noch einen langen Weg vor sich, bevor es politisch und wirtschaftlich stabil ist und die Führung in pan-afrikanischen und weltweiten Angelegenheiten übernehmen kann. Dass ein Land Potenzial besitzt, heißt nicht, dass es dieses Potenzial auch schon umgesetzt hat.

Wo positioniert sich Südafrika beim Thema Syrien? Stehen die BRICS-Staaten noch immer unter dem Eindruck des NATO-Einsatzes in Libyen und ihrem darauf folgenden Protest und lehnen jeden europäischen oder US-amerikanischen Eingriff in Syrien ab?

Das Vorgehen der NATO in Libyen wiegt aus der Sicht Südafrikas schwer, wenn es um humanitäre Einsätze geht. Südafrika hat den Eindruck, dass der Westen das internationale Völkerrecht für seine Zwecke missbraucht hat. Mein Land glaubt an friedliche Mittel zur Lösung innerer Konflikte. Es verurteilt sehr deutlich die Verletzung der Menschenrechte in Syrien; gleichzeitig tritt es dafür ein, der syrischen Bevölkerung von außen dabei zu helfen, ihre inneren Probleme zu lösen. Südafrika wird sich einmal mehr zu der Verantwortung durch Unterstützung bekennen. Mein Land hat eine eher idealistische - und manchmal etwas naive - Haltung in internationalen Angelegenheiten.

Wie vernünftig ist es vor diesem Hintergrund, dass sich Südafrika an der Seite Chinas und Russlands offen gegen die europäische und US-amerikanische Politik stellt? Immerhin sind die EU und die Vereinigten Staaten wichtige Handelspartner Südafrikas.

Südafrikas Ziel war immer einer unabhängige Außenpolitik - unabhängig vor allem von westlichem Einfluss. Diese Linie wird allerdings durch den stetig wachsenden Einfluss Chinas auf Südafrikas Außenpolitik etwas beeinträchtigt. Offensichtlich wurde das, als Südafrika dem Dalai Lama die Einreise verweigerte. Aber die moralische Autorität des Westens hat in den Augen Südafrikas abgenommen, und Südafrika sieht kein Risiko darin, den Westen offen zu kritisieren. Die starke Abhängigkeit Südafrikas vom Handel mit Europa hat sich als riskant herausgestellt, weil wir durch die Handelsströme in die Eurozone auch der Finanzkrise dort ausgesetzt sind. Daher gibt es bei uns eine rege Diskussion, ob man den Handel und die Wirtschaftsbeziehungen mehr Richtung Afrika, Lateinamerika und Asien umlenken sollte. Es gibt immer noch riesige Hürden, um auf diese Märkte vorzudringen - sowohl als direkte als auch als indirekte Zollbarrieren. Im Gegensatz zu den Vorteilen eines gesetzlich geregelten Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Südafrika steht man einem ähnlichen Abkommen innerhalb der BRICS-Staaten mit großer Zurückhaltung gegenüber. Es dürfte noch einige Zeit dauern, bis wir einen diversifizierten Handelszuwachs zwischen Südafrika und den anderen BRICS-Staaten haben. Wie dem auch sei, politisch misst Südafrika mit dem Westen immer weniger Bedeutung zu und wendet sich stattdessen anderen Entwicklungs- und Schwellenländern zu.

Was wird Südafrika von diesem ersten Gipfel als Gastgeber mitnehmen? Kann es von der geplanten gemeinsamen BRICS-Entwicklungsbank profitieren?

Die diskutierten Institutionen und Kooperationen wie etwa die BRICS-Entwicklungsbank, der BRICS-Wirtschaftsrat und der BRICS-Afrika-Dialog sind Schritte in die richtige Richtung. Das sind aber eher graduelle Entwicklungen als groß angelegte Entscheidungen. Ich glaube, die nächsten Phasen werden sich mehr mit der strukturellen Zusammenarbeit innerhalb der BRICS-Gruppe beschäftigen - etwa mit dem Einfluss der BRICS-Staaten innerhalb der G-20-Gruppe und in den Vereinten Nationen. Wichtiges Thema wird auch die künftige Konzeption der BRICS-Gruppe als Institution sein. Dabei könnte es um mehr Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen gehen, etwa bei der Lebensmittelsicherheit, der Landwirtschaft, der Energiesicherheit und dem Austausch im Bereich soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Aber da werden keine gewichtigen Entscheidungen getroffen, sondern eher Absichtserklärungen verabschiedet, etwa, dass sich die Minister regelmäßig treffen, um sich über solche Themen austauschen.

Ganz praktisch: Wird es Südafrikas Präsident Jacob Zuma gelingen, den chinesischen Staatschef Xi Jinping im Ringen um den Sitz der BRICS-Bank auszustechen? Kapstadt konkurriert hier mit Schanghai.

Ich finde es nicht so wichtig, wo die BRICS-Bank nun ihren Sitz hat. Das kann in jedem Land der Gruppe sein. Die Stadt Sandton nördlich von Johannesburg beherbergt bereits den China-Afrika-Fonds, der 2008 mit einer Sockelfinanzierung von fünf Milliarden US-Dollar an den Start ging, seitdem ist der Betrag stetig angestiegen. Der Fonds könnte zum Beispiel der Kern der Bank sein oder zumindest ihr afrikanischer Baustein - was Südafrika freuen würde. Aber zunächst wird es darum gehen, die institutionellen Rahmenbedingungen für die Bank zu schaffen. Das könnte drei oder vier Jahre dauern. Dazu müssen wichtige Fragen geklärt werden: Wer kontrolliert die Bank? Wie sind die Stimmgewichte verteilt? Wer kontrolliert die Entwicklung und die Finanzierung von Projekten? Wer kann Projekte vorschlagen? Wer führt sie aus? Südafrika sollte sich weniger mit dem Stammsitz der Bank beschäftigen, als viel mehr um folgende Punkte: Dass die südafrikanische Wirtschaft Fuß auf dem chinesischen Markt fassen kann, die Entfernung von Investitionsschranken in Branchen, die wichtig für die großen südafrikanischen Unternehmen sind. Wichtig ist außerdem, chinesische Investoren für bedeutende Sektoren in Südafrika zu begeistern. Und nicht zuletzt sollte sich Südafrikas Präsident Zuma darum bemühen, Chinas Staatspräsident Xi von einem permanenten Sitz Südafrikas im UN-Sicherheitsrat zu überzeugen.

Mzukisi Qobo ist stellvertretender Direktor des Zentrums für Studien zu innovativer Staatsführung (Centre for the Study of Governance Innovation) an der Universität von Pretoria, Südafrika.