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Neues Verfahren am EGMR sorgt für Kritik

Daphne Grathwohl15. Juni 2012

Russische Medien schlagen Alarm: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weise Fälle aus Russland ab - aus formalen Gründen. Dabei gilt das Land als größter Menschenrechtssünder unter den Staaten des Europarats.

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Eine Menschengruppe steht vor dem Gebäude des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. (Foto: dpa)
Andrang vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)Bild: picture-alliance/dpa

Jeder vierte Kläger, der am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde einlegt, ist Russe. Gut 35.000 der aktuell anhängigen Fälle in Straßburg kommen aus Russland. Es ist seit Jahren das Land mit dem größten Rückstau - auch wenn es schon besser geworden ist. Noch im Januar 2011 waren es 40.000 anhängige Fälle. Aber seit zwei Jahren greift die von Russland lange blockierte Reform des 14. Protokolls. Es soll den Richtern in Straßburg wieder mehr Luft verschaffen und die Verfahren beschleunigen. Wichtiger Teil der Reform ist der Einsatz von Einzelrichtern, die in eindeutig unzulässigen Fällen die Beschwerde abweisen dürfen. "Die erzielten Ergebnisse sind besser, als wir gedacht haben", so das Resümee von Gerichtspräsident Nicolas Bratza zu Jahresbeginn.

"Kein wesentlicher Nachteil"

Seit dem 1. Juni 2012 nun greift ein weiterer Teil der Reform: Jetzt dürfen die Einzelrichter auch ein neues Zulässigkeitskriterium anwenden: In Fällen, in denen den Beschwerdeführern "kein wesentlicher Nachteil" entstanden ist, dürfen sie die Beschwerde unter Umständen als unzulässig zurückweisen. Bislang war diese Entscheidung nur den Kammern und der Großen Kammer, also einem Richtergremium vorbehalten.

Der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Sir Nicolas Bratza (Foto: DW)
Zieht eine positive Bilanz der Reform - Gerichtspräsident BratzaBild: DW

Dabei muss es sich tatsächlich um eine vergleichsweise kleine Verletzung handeln, etwa um die Höhe der Stromrechnung, heißt es aus dem Gericht. Doch diese Reform scheint die Befürchtungen in russischen Medien zu schüren, dass nun Menschenrechtsverletzungen in Straßburg seltener geahndet werden könnten. Es handelt sich aber mitnichten um eine Taktik des Gerichts, sondern eben um ein neues Verfahren, betont man in Straßburg.

Spezielle Abteilungen

Eine weitere Neuerung ist die Einrichtung von so genannten "Filtering sections": Diese juristischen Abteilungen arbeiten offensichtlich unzulässige Fälle aus den fünf Ländern mit dem höchsten Fallaufkommen ab. Zu diesen Ländern gehören neben Russland auch Polen, Rumänien, die Türkei und die Ukraine.

Protestschild vor dem Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Foto: DW)
Protest im und vor dem Europäischen Gerichtshofs für MenschenrechteBild: DW

Etwa 90 Prozent der Fälle vor dem EGMR werden als unzulässig abgewiesen. Eine schnelle Bearbeitung einfacher, offensichtlich unzulässiger Fälle durch den Einzelrichter soll dem Gericht mehr Zeit einräumen, sich mit den wirklich schwerwiegenden Fällen zu befassen. Für Russland bedeutet die Einzelrichter-Reform des 14. Protokolls, dass nun viele der teils Jahre alten Fälle überhaupt behandelt werden.