1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rüffel von der Wirtschaft

Sabine Kinkartz, Berlin3. November 2015

Deutsche Wirtschaftsbosse geben der Bundesregierung für ihre Flüchtlingspolitik keine guten Noten. Vor allem das Parteiengezänk kommt auf dem Tag der Deutschen Industrie gar nicht gut an.

https://p.dw.com/p/1Gyv7
Deutschland Merkel und Grillo beim Tag der Deutschen Industrie
Bild: Reuters/F. Bensch

Wenn die Bundeskanzlerin beim Zuhören nach unten schaut und dabei auch noch die Arme verschränkt, dann gefällt ihr das, was sie sich anhören muss, gar nicht. Konnte es auch nicht, denn was Angela Merkel auf dem auf dem Tag der Deutschen Industrie vor 1.200 geladenen Managern vorgehalten wurde, war an Deutlichkeit kaum zu überbieten.

Er erwarte von der Bundesregierung größere Geschlossenheit in der Flüchtlingskrise, kritisierte BDI-Präsident Ulrich Grillo in seiner Eingangsrede. "Es kann nicht sein, dass man sich über die Worte Transitzone oder Einwanderungszentren in die Haare kriegt." Die Politik müsse aufhören, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Für Streitereien zwischen CDU, CSU und SPD sei keine Zeit. "Wir brauchen ein effizientes Krisenmanagement."

Braucht Merkel einen Trainer?

25 Minuten dauerte die Rede des BDI-Präsidenten, in der Ulrich Grillo die üblichen Stichworte wie Energiewende, Digitalisierung, Freihandelsabkommen und Konjunktur nur am Rande streifte und sich vor allem mit den Folgen der Flüchtlingskrise auseinandersetzte. Mit Blick auf die Kanzlerin, die in der ersten Reihe saß, forderte er mehr Mut zur Ehrlichkeit. "Wir müssen sagen, wie wir denn das alles schaffen wollen und wir müssen den Bürgern die Chance geben, mitzudiskutieren, in welchem Maße Deutschland Einwanderungsland sein will", so Grillo. Die Politik sei aufgefordert, den Menschen klar zu sagen, dass die Flüchtlingskrise zwar zu schaffen sei, aber schwierig werde und der Gesellschaft Opfer abverlangen werde. "Vor allem wird die Integration Geld kosten."

Deutschland Ulrich Grillo beim Tag der Deutschen Industrie
Macht sich Sorgen: BDI-Präsident GrilloBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Kein gutes Haar ließ Grillo an der bisherigen Wirtschaftspolitik. "Die große Koalition hat ein paar Eigentore geschossen: Mit Mindestlohn, Rente mit 63, Maut und vielen anderen Themen." Nötig seien mehr öffentliche Investitionen, mehr Schritte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Mit einem scherzenden Unterton bot er sich als Trainer an, um weitere "Eigentore" zu vermeiden und die Mannschaft in die richtige Richtung schießen zu lassen.

Merkel kontert

Ein Angebot, das die Kanzlerin umgehend ablehnte. "Das muss ich dann doch bezweifeln." Die Politik habe in der Gesellschaft eine Vorrangstellung. "Deshalb müssen wir die Rollen vielleicht ein bisschen anders verteilen." An der Bedeutung, die die Industrie für die deutsche Wertschöpfung hat, kann die CDU-Vorsitzende aber nicht vorbei. Und sie weiß, dass sie auch die Kritik durchaus ernst nehmen muss. Sie danke ihm für seine "besondere" und einordnende Rede, erwiderte die Kanzlerin daher, als sie nach Ulrich Grillo das Wort ergriff. Der Diskurs zwischen Wirtschaft und Politik sei wichtig.

Wie wenig sich Merkel in politischen Fragen hineinreden lassen will, war aber auch daran zu merken, dass sie im Gegensatz zu Grillo eine größtenteils wirtschaftspolitische Rede hielt, nur kurz auf die Flüchtlingskrise einging - und das auch nur im europäischen Kontext. Europa habe eine der größten Herausforderungen zu meistern, weil es irrtümlich angenommen habe, vom Krieg in Syrien und seinen Folgen nicht beeinflusst zu werden, so die Kanzlerin.

Diese Herausforderung werde nicht an der deutsch-österreichischen Grenze bewältigt werden können. "Wir müssen in Deutschland das tun, was wir können, keine Frage, aber wenn wir zu klein denken, wenn wir zu sehr auf uns bezogen denken, dann wird das wieder eine große Gefährdung für Europa sein", so Merkel. Sie wiederholte einmal mehr, dass die Flüchtlingskrise nur zu bewältigen sei, wenn Europa es schaffe, seine Außengrenzen effektiv zu schützen und gleichzeitig die Flüchtlinge auf alle Länder zu verteilen. "Wir müssen darauf beharren, dass die Lasten fair verteilt werden, ansonsten wird das ganze System nicht funktionieren."

Auf Merkel folgt Gabriel

Nach der Bundeskanzlerin stand ihr Stellvertreter, SPD-Chef Sigmar Gabriel auf der Rednerliste. Als Bundeswirtschaftsminister legte er den Fokus zunächst auf die Konjunktur. Die Daten seien "ganz gut" mit knapp zwei Prozent Wachstum in diesem und prognostiziert auch im nächsten Jahr, dem höchsten Beschäftigungsstand, den Deutschland je hatte, mit sinkender Arbeitslosigkeit und steigender Kaufkraft. "Trotzdem haben wir alle das Gefühl, na, ob das so bleibt?", orakelte Gabriel. Zur Verunsicherung trage neben der schwachen Weltwirtschaft natürlich auch bei "dass so viele Menschen zu uns kommen". Deswegen müsse Deutschland nicht nur eine erfolgreiche Volkswirtschaft bleiben, sondern "auch stabil in der Gesellschaft".

Deutschland Sigmar Gabriel beim Tag der Deutschen Industrie 2015
SPD-Chef Gabriel wirbt für Zuversicht und RealismusBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Gabriel bedankte sich bei den Unternehmern, "die in diesen Tagen, Wochen und Monaten das in ihrer Möglichkeit stehende tun, um mitzuhelfen, Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen". Viele würden Mitarbeiter freistellen, damit diese als ehrenamtliche Helfer in Flüchtlingszentren arbeiten könnten. "Ich weiß, dass das vielen nicht leicht fällt, vor allem nicht über eine so lange Zeit."

Deutschland stehe vor "riesigen Herausforderungen". Nicht die Zahl der nach Deutschland kommenden Menschen sei das Problem, sondern das Tempo der Entwicklung. Bei der Bewältigung des Zustroms müssten Zuversicht und Realismus zusammenkommen. So werde es mindestens zehn Jahre dauern, die notwendige Infrastruktur für Bildung und Ausbildung zu schaffen.

Die Wirtschaft drängt

Das weiß die Wirtschaft auch, trotzdem drängt sie auf schnellere Entscheidungen. "Die Erfahrungen aus der Gastarbeitermigration müssen und eine Lektion sein", so BDI-Präsident Grillo, der durchaus auch Potenzial in der Flüchtlingskrise sieht. 600.000 offene Stellen gibt es derzeit, und das sind nur die, die ausgeschrieben sind. Die Bertelsmann-Stiftung rechnet in einer aktuellen Studie vor, dass deutlich mehr als 200.000 Menschen jährlich nach Deutschland einwandern müssten, um den Arbeitskräftebedarf bis 2050 zu decken. "Zentral ist es, möglichst viele Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren", fordert daher Grillo.

Zugleich warnt er jedoch vor überzogenen Erwartungen. "Weder Sprachkenntnis noch Qualifikation können herbei gebetet werden." Vor allem in diesem Punkt sieht die Wirtschaft den Staat in der Pflicht. Es könne nicht Aufgabe der Unternehmen sein, Deutschkurse einzurichten und die Flüchtlinge fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Grillo warnte auch davor, den Mindestlohn für Flüchtlinge abzuschaffen. Wenn Deutsche das Gefühl bekommen würden, dass Flüchtlinge ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen, dann sei das eine große Gefahr. "Davor habe ich Angst, dass die Stimmung umschlägt", warnt Ulrich Grillo.