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Rache Aleksandr Lukaschenkas?

19. Dezember 2002

– Polnische Zeitschrift spricht von großer Schlepperaktion, durch die Immigranten illegal von Weißrussland nach Polen gebracht werden sollen

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Posen, 15.12.2002 WPROST, poln.

Noch vor Weihnachten werden mehrere Tausend illegale Immigranten versuchen, die polnisch-weißrussische Grenze zu passieren. Sie befinden sich zur Zeit in den Übergangslagern in Weißrussland. Der weißrussische Grenzschutz, die Miliz und das Militär bekamen Anweisung, Patrouillen an der polnisch-weißrussischen Grenze nicht mehr durchzuführen und sogar illegale Immigranten bei dem Versuch, die Grenze zu passieren, zu unterstützen

Der Plan für diese Aktion wurde vom weißrussischen KGB vorbereitet. Den Reportern der Zeitschrift WPROST gelang es jedoch, die Lager der illegalen Immigranten in Weißrussland zu besuchen und mit den Schleppern zu sprechen. Wir sahen sogar die Karten, auf denen die Schlepperrouten markiert wurden.

In der Nähe der weißrussischen Ortschaften Drybin und Mohylew im Westen Weißrusslands sowie in der Nähe von Pinsk, Nieweil, Stolin, Kleck, Woronow und Lida warten über 150 000 Flüchtlinge auf den Transport nach Polen. Sie stammen aus Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, Bangladesch, Sri Lanka, Laos, Birma, Sudan, Äthiopien und Somalia. Unter ihnen befinden sich aber auch Tschetschenen, Georgier und Armenier sowie viele Bewohner der ehemaligen Sowjetunion (...).

Aber weder Polen noch irgendein anderes Land in Europa ist auf die Aufnahme von so vielen Immigranten vorbereitet. Die polnischen Flüchtlingsheime verfügen über nur 1 300 Plätze, von denen zwei Drittel schon besetzt sind.

Vor einigen Wochen teilte Aleksandr Lukaschenka offiziell mit: "In Weißrussland befinden sich 150 000 illegale Immigranten, die weiter nach Europa gelangen wollen. Dann werden die Europäer mit aller Kraft nach Minsk drängen, und um unsere Hilfe bei der Bekämpfung des Drogenschmuggels und der illegalen Immigration nachsuchen".

"Die Tatsache, ob der weißrussische Grenzschutz die Westgrenze Weißrusslands überwachen wird oder nicht, beeinflusst auf keinen Fall die Arbeit des polnischen Grenzschutzes. Er wird jeden festhalten, der versuchen sollte, die polnische Grenze illegal zu passieren", sagt Krzysztof Janik, Minister für Inneres und Verwaltung. Der Grenzschutz versichert auch, dass er vorbereitet sei, die Pläne von Lukaschenko zu durchkreuzen. "An der weißrussischen Grenze wurde auch das modernste Gerät zur Verfügung gestellt. Sogar Fachleute aus der EU sind davon beeindruckt, wie dieser Grenzabschnitt überwacht wird" versichert Oberst Jaroslaw Zukowicz, Pressesprecher des Hauptkommandanten des polnischen Grenzschutzes.

Wir erfuhren, dass der Geheimdienst beim Grenzschutz ein Gespräch zwischen den Beamten des weißrussischen Grenzschutzes und den KGB-Funktionären aus Minsk und Grodno abhörte. In den Händen unseres Grenzschutzes befinden sich außerdem noch Anweisungen und Karten für die Beamten des weißrussischen Grenzschutzes, auf denen die Abschnitte der Grenze markiert wurden, an denen es keine Kontrollen geben soll. (...)

Die Reporter von WPROST sind zu den Übergangslagern in Wolkowysk, Swislocz, Kobryn und Zabinice vorgedrungen. In Wolkowysk trafen sie Flüchtlinge aus Tschetschenien, Afghanistan, Pakistan und Irak an .

Kawas Chalasow, ein Flüchtling aus Grosny erzählte uns, dass er die letzten vier Monate im Übergangslager in Lida verbrachte. Vor zwei Wochen sagte ihm der Russe Jurij, der für das Schleppen nach Polen 2 000 US-Dollar von Kawas Chalasow kassiert hatte, dass er noch im Dezember nach Polen gelangen werde. Zu diesem Übergangslager wurden bereits fast 100 Personen transportiert. Sie wurden mit zwei Lastwagen befördert und mussten sich auf dem Boden hinlegen: "Schon in Wolkowysk sah ich weißrussische Grenzbeamte in Uniformen, die aufschrieben, woher wir kommen und wie viele wir sind. Sie sprachen mit Jurij und seinem ukrainischen Mitarbeiter Mykola", berichtet Kawas Chalazow. (...)

Alle Flüchtlinge, mit denen wir sprachen, erwähnten die große Verschiebung der Flüchtlinge in die Nähe der polnischen Grenze, die schon Mitte November begann. Nach verschiedenen Schätzungen halten sich zur Zeit 100 000 bis 200 000 illegale Immigranten aus Asien, Afrika und den ehemaligen Republiken der Sowjetunion in Weißrussland auf. In den letzten Wochen wurden etwa 40 000 davon in die Nähe der polnischen Grenze transportiert.

Die Pläne von Lukaschenko sorgten für Unruhe bei den Beamten der Europäischen Union. Sie glauben jedoch daran, dass der polnische Grenzschutz diese Situation meistern kann. (...)

"Vielleicht aber ist diese ganze Aktion von Lukaschenko nur ein Bluff und dem weißrussischen Präsidenten geht es dabei nur darum, Europa zu erschrecken und zu beweisen, dass Europa ohne die Zusammenarbeit mit ihm von enormen Flüchtlingsproblemen bedroht wird," behauptet Rafal Sadowski vom Zentrum für Oststudien. Er bemerkt außerdem, dass die weißrussische Presse in letzter Zeit berichtete, dass ein weiterer Zufluss von Flüchtlingen die Situation in Weißrussland destabilisieren könnte. Die Behörden seien nicht imstande, entsprechende Bedingungen für sie zu schaffen. Die Flüchtlinge weiter nach Polen zu schicken, wäre also nicht nur die Rache von Lukaschenko, sondern auch die Methode, um diese tickende "Bombe" im Inland zu entschärfen.

Der polnische Grenzschutz betrachtet die Pläne von Lukaschenko aber nicht als Bluff, und deswegen wurden neue und mit modernstem Gerät ausgerüstete Patrouillen für die Grenzabschnitte gebildet, die bisher schwächer überwacht wurden. Die Grenze wird zusätzlich noch von den Flugzeugen "Wilga" überwacht.

Die Schlepper, die wir in Brest und Terespol trafen, sind davon überzeugt, dass die Pläne von Lukaschenko verwirklicht werden. Einer von ihnen, der sich als Janusz vorstellte, schleppt seit sieben Jahren illegale Immigranten nach Polen, vor allem Personen aus Afghanistan, Sri Lanka und Bangladesch.

Von der geplanten Aktion erfuhr er durch seinen Informanten von der weißrussischen Miliz. Für ihn bedeutet dies zusätzliche Einnahmen. Er nimmt 1000 bis 1500 Dollar von jedem Flüchtling. Janusz bestätigt außerdem, dass nach dem 15. Dezember die weißrussische Grenze überhaupt nicht mehr überwacht wird. (...)

Seine Worte werden durch den Weißrussen Anatolij bestätigt, einen ehemaligen Milizionär aus Weißrussland, der jetzt mit Janusz zusammenarbeitet. Anatolij behauptet, dass in der geheimen Instruktion des KGB auf sechs Grenzabschnitte an der polnisch-weißrussischen Grenze hingewiesen wurde, zu denen die illegalen Immigranten wegen der Eigenschaften des Terrains und der Platzierung der polnischen Grenzposten transportiert werden sollten. Die Gruppe von Janusz und Anatolij plant, mindestens 300 Personen nach Polen zu schleppen. Sie werden den Fluss Bug mit mehreren Gummibooten überqueren.

Die Pläne, mehrere tausend illegale Immigranten nach Polen einzuschleusen, sind nur eines der vielen Elemente der feindlichen Politik der weißrussischen Behörden gegenüber Polen. Schon 1990 hat Weißrussland die Unterzeichnung des Abkommens über bilaterale Beziehungen mit der Begründung verweigert, dass Weißrussen in Polen diskriminiert werden. 1991 wurde der Generalkonsul der Republik Polen Tadeusz Myslik des Landes verwiesen, weil er ohne die Genehmigung des weißrussischen Außenministeriums bei einer Gerichtsverhandlung erschien, bei der eine der Parteien der Verband der Polen in Weißrussland war.

1993 wurden die polnischen Behörden vom weißrussischen KGB beschuldigt, die Verbreitung des Katholizismus in Weißrussland zu unterstützen. 1998 gab es Vorwürfe, dass der polnische Geheimdienst weißrussische Bürger als Mitarbeiter anwirbt. Der Außenminister Weißrusslands Iwan Antonowicz sagte damals, dass die weißrussischen Oppositionellen, die einen Staatsstreich in Minsk vorbereiteten, in Polen geschult worden seien.

Vor zwei Jahren nahm die polnische Abwehr die Spur weißrussischer Spione vom weißrussischen KGB auf, die versuchten, die weißrussischen Medien in der polnischen Region Bialystok zu infiltrieren. Vor einigen Tagen erschien Alexander Lukaschenko in Brest. Vertreter der weißrussischen Opposition, mit denen wir sprachen, behaupten, dass er den Stand der Vorbereitungen für die große Schlepperaktion der illegalen Immigranten nach Polen überprüfte. (Sta)