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Radikale Gruppen heizen Stimmung auf

25. Februar 2012

Afghanistan hat den fünften Tag der gewaltsamen Proteste gegen die Koranverbrennungen erlebt. Aber unter den Demonstranten gibt es auch mäßigende Stimmen. Sie warnen vor einer weiteren Eskalation.

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Hinter einer NATO Militärbasis in Jalalabad steigt Rauch auf, während Demonstranten über die Straße laufen (Foto:Rahmat Gul/AP/dapd)
Bild: AP

Tausende Menschen sind am Samstag (25.02.2012) in ganz Afghanistan wieder auf die Straße gegangen. In mehreren Provinzen demonstrierten sie gegen die USA und die afghanische Regierung. In Kabul marschierten Hunderte zum Präsidenten-Palast. Wieder hieß es: "Tod den Amerikanern und Karsai".

Seit Beginn der Ausschreitungen am Dienstag wurden nach offiziellen Angaben mindestens 28 Menschen getötet, darunter Demonstranten und US-amerikanische Soldaten. Die Taliban bekannten sich außerdem zu den Morden an zwei US-Militärberatern im afghanischen Innenministerium. Angesichts der Volkswut hat sich die Bundeswehr vorzeitig komplett aus ihrem Stützpunkt Talokan zurückgezogen. Auch die NATO-geführte Afghanistan-Schutztruppe ISAF zog alle Mitarbeiter aus den Ministerien in Kabul ab. Die Unruhen hatten begonnen, nachdem Afghanen angekohlte Koran-Exemplare auf dem US-Stützpunkt Bagram gefunden hatten.

"Gewalt nützt nichts"

Ahmad Jawed, ein Demonstrant aus Herat, sagt, dass es falsch sei, mit Gewalt auf die Koran-Verbrennung zu antworten. "Diejenigen, die in den letzten Tagen Gewalt ausgeübt haben, schaden dem afghanischen Volk. Leider haben sich einige politisch motivierte Gruppen unter die Demonstranten gemischt und ihre friedlichen Absichten für sich ausgenutzt", empört er sich. "Wir verurteilen nicht nur die USA für die Koranverbrennungen, sondern auch die, die im Namen der Koranverbrennung weitere kriminelle Taten verüben."

Ein Demonstrant hält ein angesengtes Exemplar des Korans in die Höhe (Foto: EPA)
US-Soldaten hatten die heiligen Bücher nach eigenen Angaben aus Versehen verbranntBild: picture alliance/dpa

Beobachter sehen die verschiedenen radikal-religiösen Gruppen als treibende Kraft hinter der angespannten Lage im Land. Diese Gruppen wollten bewusst Öl ins Feuer gießen, sagt Yunus Fakoor, Politikexperte in Kabul.  "Das ist keine Verteidigung des Glaubens. In diesem Fall nutzen die religiösen Gruppen die religiösen Gefühle der Menschen für ihre politischen Zwecke aus."

Religion nur ein Faktor

Diese religiösen Gefühle sind tief in der afghanischen Gesellschaft verankert. Die meisten halten den Koran, als unmittelbares Wort Gottes, in hoher Achtung und halten sich strikt an seine Vorschriften. Die Verbrennung der Koran-Exemplare war für die Afghanen ein Angriff auf ihre höchsten Werte. Trotzdem könnten religiöse Gefühle allein diesen Ausbruch der Emotionen und Gewalt nicht erklären, meint der Politikwissenschaftler Tufan Waziri.

Vor allem die geringe politische Bildung sei schuld daran, dass Vorkommnisse wie in Bagram, die gewiss zu missbilligen, aber doch auch erklärbar seien, von der Bevölkerung überinterpretiert würden. "Leider ist das Bildungsniveau der afghanischen Bevölkerung sehr gering. Die Menschen sind außerdem sehr arm, und sie sind natürlich enttäuscht, dass die letzten zehn Jahre keine Verbesserung ihres Lebensstandards gebracht haben", sagt er. "Selbst die Mittelschicht hat nur einen geringen Grad an politischer Bildung. Vor diesem Hintergrund ist es für die Taliban ein Leichtes, die Gefühle der Menschen zu kanalisieren." Bei einer Analphabetenrate von über 70 Prozent sei auch zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban keine signifikante Besserung der Bildungssituation in Sicht, so der Politologe Waziri.

Afghanische Demonstranten machen ihrem Unmut Luft und skandieren Anti-USA Slogans (Foto: REUTERS)
Seit Tagen kommt es in Afghanistan zu heftigen antiwestlichen DemonstrationenBild: Reuters

Kabul ratlos

Die afghanische Regierung hält sich zu den Gründen für die Ausschreitungen und die weiteren Maßnahmen bedeckt. Bislang hat sie jedenfalls keine sichtbar erfolgreichen Initiativen unternommen, um die Lage zu beruhigen. Sie kann wohl nur hoffen, die jüngste Aufwallung des Volkszorns ohne größere Schäden zu überstehen.

Für die Regierung von Präsident Hamid Karsai steht derzeit einiges auf dem Spiel: Washington und Kabul stehen kurz vor dem Abschluss eines Vertrages über eine dauerhafte strategische Partnerschaft. Ein Vorhaben, das die Nachbarn Afghanistans, vor allem Pakistan und Iran, vehement ablehnen. Sie fürchten, bei einer engen Freundschaft zwischen USA und Afghanistan ihre eigenen Interessen in Afghanistan und der Regionen nicht durchsetzen zu können.

Ahmad Zia Raf’at, Professor für Publizistik an der Universität Kabul, geht davon aus, dass die Gegner der Partnerschaft zwischen USA und Afghanistan am Ende nicht gewinnen können, auch wenn die Demonstrationen im Moment die Position der Gegner stärkten. "Wenn der politische Wille besteht, dass die amerikanisch-afghanische Zusammenarbeit zustande kommt, dann wird sie auch zustande kommen. Die Demonstrationen werden daran nichts ändern können. In ein paar Tagen werden die Gefühle abgekühlt sein", sagt der Politikwissenschaftler voraus.  Dennoch hofft Raf’at, dass die USA die richtigen Lehren aus dieser Situation ziehen und den Fanatikern in der Region kein neues Futter für ihre Propaganda geben werden.

Die Präsidenten Karsai, Achmadinedschad und Zardari nach einem gemeinsamen Treffen (Foto: AP)
Gipfeltreffen der Präsidenten Karsai, Achmadinedschad und Zardari auf einer Anti-Terrorismus-Konferenz in Pakistan im FebruarBild: AP

Autorin: Waslat Hasrat-Nazimi
Redakteur: Hans Spross/re/jm