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Rassismus in Russland: "Die Gewalt wird brutaler und organisierter"

8. Juni 2006

Im Interview mit DW-RADIO spricht die russische Menschenrechtlerin Galina Koschewnikowa über Täter mit niedriger Gewaltschwelle, gefährliche Bewährungsstrafen und darüber, wann ein Überfall für sie als rassistisch gilt.

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Rechtsextreme Gewalt bleibt das Sorgenthema in RusslandBild: dpa

Galina Koschewnikowa ist stellvertretende Direktorin des Informations- und Analysezentrums "Sowa" mit Sitz in Moskau.

DW-RADIO/Russisch: Frau Koschewnikowa, nach Angaben ihrer Organisation nimmt die Zahl rassistisch motivierter Überfalle in Russland mit jedem Jahr um 30 Prozent zu. Wie kommen Sie zu diesem Ergebnis?

Galina Koschewnikowa: "Der Beweis liegt auf der Hand: In diesem Jahr starben 18 Menschen und 107 wurden verletzt. Im letzten Jahr wurden 31 Menschen getötet und 386 verletzt. Die häufigsten Schauplätze der Gewalttaten sind Moskau und St. Petersburg und Woronesch. Außer in diesen Städten haben wir Angriffe aus rassistischen Motiven noch in 18 anderen Regionen Russlands registriert."

Wie stellen Sie fest, dass die Angriffe aus rassistischen Motiven begangen wurden?

"Wir registrieren nur diejenigen Fälle, die unseren Experten unbestreitbar zu sein scheinen. Das sind Angriffe ohne Raub, Gruppenüberfälle auf offensichtlich wehrlose Opfer, und die Fälle, in denen die Angreifer wie Skinheads aussehen oder rassistische Losungen von sich geben."

Wo sehen Sie die Ursache dafür, dass die Zahl der Verbrechen, die von Skinheads verübt wurden, zunimmt?

"Es gibt einen großen Komplex von Problemen, wie soziale sowie Bildungsprobleme oder mangelnder Widerstand gegenüber rechtsextremer Propaganda. Die Gewalt nimmt nicht nur zu, sondern wird noch brutaler und organisierter. Ein Grund dafür ist, dass die Verbrechen von den Behörden meist als einfaches "Rowdytum" eingestuft werden. Wer sind die Skinheads? Sie sind Jugendliche, bei denen die Gewalt- und Gefahrenschwelle niedrig ist. Wenn sie angreifen, sind sie sich nicht bewusst, die Konsequenzen dafür tragen zu müssen. Sogar wenn sie erwischt werden, bekommen sie meist nur Bewährungsstrafen. Diese Praxis ist sehr gängig. Bis zum vergangenen Jahr bekamen alle derartigen Angreifer – außer denen, die einen Mord begingen - Bewährungsstrafen. Dies erzeugt unter Jugendlichen die Zuversicht, dass ihre Taten ungestraft bleiben. Erst seit 2005 hat sich die Praxis geändert, und die Täter erhalten Gefängnisstrafen."

Wie könnte man Ihrer Meinung nach die Verbrechen von Skinheads unterbinden?

"Um Gewalt zu verhindern, braucht man eine klare Position der Rechtsschutzbehörden und eine breite Öffentlichkeit für die Verfahren. Ich führe ein Beispiel an. Im letzten Jahr wurde in Wolgograd eine Skinhead-Clique verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte in diesem Prozess eine klare Position bezogen. Örtliche Massenmedien haben detailliert und ausführlich darüber berichtet. Das Urteil war sehr streng – die Täter bekamen mehr als zehn Jahre Gefängnis. Die örtlichen Skinheadbanden waren schockiert. In den darauf folgenden Monaten kam es zu keinen gewalttätigen Aktionen mehr. Den Jugendlichen wurde klar, dass sie wirklich für die Verbrechen büßen müssen."

Das Interview führte Viacheslav Yurin
DW-RADIO/Russisch, 1.6.2006, Fokus Ost-Südost