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"Raubkopie der Tatsachen"

Ina Rottscheidt31. August 2004

Vorbei sind die Zeiten, als Handys lediglich eine einzige lächerliche Funktion besaßen: die eines Telefons. Längst haben sie sich zu Multimedia-Talenten gemausert und spielen inzwischen sogar bei Kurzfilmfestivals mit.

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Filmkunst im HandtaschenformatBild: APTN

Knirschend zermalmt ein klappriger VW-Bus das Handy unter seinen Reifen. Wahlweise lässt es sich auch mit Golf- und Baseballschlägern ins Jenseits befördern, so demonstriert ein Berliner Künstler-Duo 90 Sekunden lang diverse Todesarten von Mobiltelefonen - gedreht mit einem Videohandy.

Der Clip ist einer von rund 150 experimentell-wilden Filmchen, die sich um den "MicroMovie Award" bewerben: Erstmalig prämiert das Internationale Filmfestival "interfilm" in Berlin (2.-7. November) mit Handykameras gedrehte Kurzfilme, maximale Länge: 90 Sekunden. In Zusammenarbeit mit dem Sponsor Siemens hat "interfilm" weltweit Filmschulen und Produzenten mit der neusten Handygeneration des Mobilfunkanbieters ausgestattet und wartet nun auf den Rücklauf, der bis Ende August in Berlin eingereicht werden soll.

Frau mit Fotohandy
Multimedia-Talente: Telefonieren wird zur NebensacheBild: Bilderbox

Kurzfilme aus aller Welt

Und der ist viel versprechend: Auf dem Schreibtisch von Heide Schürmeier von "interfilm" stapeln sich bereits Pakete aus rund 22 Ländern, hinter denen Namen wie etwa die "Vancouver Film School", die "Univerdsidad del Cine" in Buenos Aires oder das "National Institute of Design" in Indien stehen. Letztere hat bereits neun MicroMovies eingereicht - obwohl die Inder nur zwei Handys insgesamt zur Verfügung gestellt bekamen. Schon jetzt machen indische Nachwuchsfilmer dem Ruf des Bollywood-Landes als Schnell-Film-Standort alle Ehre.

Filmplakat Bollywood
Auch 'Bollywood' ist bei den 'MicroMovie Awards' dabei

Kampf gegen die Technik

Doch zunächst kämpfen die Filmemacher mit ganz anderen Problemen, wie Heide Schürmeier erklärt: "Kein Zoom, andere Lichtverhältnisse, geringer Speicher, und wenn's spannend wird, ist der Akku leer. Aber deshalb ist es auch so spannend zu sehen, wie Professionelle mit diesen Einschränkungen umgehen."

"Sie haben gestaunt, wie klein eine Kamera sein kann", erinnert sich Prof. Tjark Ihmels vom Institut für Mediengestaltung an der Fachhochschule Mainz. Und für viele seiner Studenten sei die Arbeit ohne wuchtige Filmausrüstung ungewohnt gewesen: "Da kann man sich ja auch gut hinter verstecken." Und was die Qualitätseinbußen der Taschenkameras angeht: "Da bekommt das Wort 'Handicap' eine ganz neue Bedeutung."

Schwächen ausnutzen

Schnelle Bewegungen mögen die Handy-Kameras gar nicht, Bildfolgen werden zu abgehackten, grobpixeligen Angelegenheiten und Farben wechseln wild durcheinander. "Da muss man mit Verfremdungen arbeiten, am Computer nach bearbeiten, beispielsweise Fotoelemente einbauen", erklärt Ihmels, denn alles ist erlaubt bei den "Micromovie-Awards". Die große Kunst sei es, technische Schwächen zu nutzen: "Dann kann man damit ästhetisch ernst zu nehmende Schönheit produzieren."

Minox Kamera
Wozu noch herkömmliche Kameras?Bild: dpa

Datenschützer werden aufmerksam

Doch Ihmels muss den kleinen Alleskönnern auch zugestehen: "Man kann spontaner agieren und Menschen bewegen sich freier, authentischer." So authentisch, dass Datenschützer schon misstrauisch werden: Nahezu überall darf die Taschenkamera mit hinein, der der Druck auf den Auslöser bleibt oftmals unbemerkt, eine "Raubkopie der Tatsachen" wie es bei 'interfilm' heißt. Doch wider Erwarten wurden voyeuristische Filme bei Heide Schürmeier noch nicht eingereicht. Sie vermutet: "Vielleicht widerspricht das dem Berufsethos der Filmemacher?" Ihmels fügt hinzu: "Die sind sich vor allem über die rechtlichen Folgen heimlicher Aufnahmen bewusst."

Derzeit wählen die Veranstalter des Kurzfilmfestivals die 20 besten Einsendungen aus, die bereits ab Anfang Oktober im Internet zu sehen sein werden. Im November dann sollen dann die Zuschauer abstimmen, welcher Handy-Kurzfilm den mit 3.000 Euro dotierten, ersten Preis erhält. Allerdings werden sie sich um kleine Computermonitore drängen müssen, denn trotz aller technischer Raffinessen und Fortschritte: Für eine Großbildleinwand reicht die Auflösung bei den "MicroMovies" noch lange nicht.