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Raul Zelik und die Migration

Aygül Cizmecioglu2. Februar 2006

Berlin-Kreuzberg ist eine multikulturelle Hochburg in Deutschland. Dort wohnt auch der Schriftsteller Raul Zelik - trotz des international klingenden Namens ein waschechter Bayer.

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Schmelztiegel KreuzbergBild: dpa

Berlin-Kreuzberg - Verkehrslärm, Einkaufshektik beim türkischen Gemüsehändler um die Ecke und orientalische Klänge, die aus den offenen Fenstern strömen. Über dem ganzen Viertel liegt der leise Hauch linksalternativer Romantik. In einem der etwas heruntergekommenen Altbauten, unweit des Kottbusser Damms, wohnt Raul Zelik, einer der interessantesten Autoren der jüngeren Generation. Er hat Reiseerzählungen, politische Reportagen und Kriminalromane geschrieben - rund um das Thema Migration.

WG als Inkasso-Unternehmen

Auch Mario, die Hauptfigur aus Raul Zeliks neustem Buch "Berliner Verhältnisse" - ein 32jähriger Zufriedenheitskünstler -, hat es sich fernab von Ehrgeiz in seinem Kreuzberger WG-Leben gemütlich gemacht hat. Marios Lethargie hat ein Ende, als seine rumänischen Mitbewohner in Schwierigkeiten geraten. Die illegalen Bauarbeiter kriegen ihr Geld vom Arbeitgeber nicht und flugs wird aus der WG ein gefürchtetes Inkasso-Unternehmen, das Geld für entrechtete Ausländer eintreibt.

"Ich schreib nicht darüber, dass ich mir etwas aussuche, was exotisch ist, sondern ich schreibe über Sachen, die mir begegnen und die meinen Lebensalltag bestimmen. Dass Migration politisch unglaublich heuchlerisch verwaltet wird, darum geht's in dem Buch. Ständig werden Klischees, die bei uns durch den Verstand geistern, aufgegriffen und hoch gepeitscht und umgedreht."

Akrobatik mit Weltbildern

Und so plädiert eine muslimische Ladenbesitzerin für schnellen Sex im Treppenhaus. Schwule geraten in Scheinehen und eingefleischte Kapitalisten finden ihr Seelenheil in den rumänischen Bergen. Raul Zelik jongliert kunstvoll mit Lebenskonzepten und Weltbildern und hinterfragt ganz nebenbei unsere Wahrnehmung vom "Fremden". Der 37jährige ist selbst in München aufgewachsen und hat mehrere Jahre in Südamerika gelebt.

"Ich wüsste nicht zu sagen, was das ausmacht, fremd zu sein. Ich glaube, vielleicht gibt es das auch gar nicht. Vielleicht ist die Frage eher, wie wird diese Fremdheit konstruiert. Ich finde das ganz bezeichnend, wenn darüber geredet wird, über die türkische Gemeinde oder die Muslime in Deutschland, ständig von uns und den anderen, der Parallelgesellschaft gesprochen wird. Die Frage aber wäre, was hat ein Leben in Oberbayern mit dem Leben eines Schwulen in deiner deutschen Großstadt zu tun. Das sind auch absolut zwei Parallelgesellschaften."

Viele kulturelle Mainstreams

Mit einem süffisanten Lächeln erwähnt der waschechte Bayer Raul Zelik seinen Beitrag zur Integration - den Namen. "Raul" hat er sich selbst gegeben, den Nachnahmen von seiner türkischen Ex-Frau geliehen. 1989, kurz vor der Wende, kam Zelik nach Berlin. Es sei eine Art Flucht gewesen, aus engen, vorgefertigten Strukturen.

"Die Wiedervereinigung hat Berlin nicht schöner gemacht, finde ich. Aber es gibt immer noch eine Menge Sachen, die ich schätze, weil es sehr viele kulturelle Mainstreams gibt, je nachdem in welchem Teil du dich gerade befindest."

Inzwischen kann sich der frischgebackene Vater nicht vorstellen, in einer anderen Stadt zu leben. Sein Schreiben sei irgendwie schon mit Berlin verwachsen, gesteht er. Die Stadt als Routine, wie das morgendliche Schreiben oder die schriftstellerische Neugier. Autor sein, bedeutet für Raul Zelik, Mut zu haben, unbequem sein, im besten Fall anzuecken.

Literarische Achterbahnfahrt

Wo Popliteraten die spiegelglatten Persönlichkeiten ihrer Romanhelden polieren, lotet Raul Zelik liebevoll die Schwächen seiner Figuren aus. Er schlägt sich auf die Seite der Verlierer. Es sind die meist unsichtbaren Grenzen zwischen günstigen und verpassten Gelegenheiten, zwischen Alltags- und Traumbildern, die der Autor beschreibt. Sein Ton ist kraftvoll und authentisch - die "Berliner Verhältnisse", mit dem Zelik für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde, eine literarische Achterbahnfahrt durch die türkischen Cafes, Designer-Lofts und Baustellen Berlins. Und ganz nebenbei die Liebeserklärung an eine schwindelerregende Stadt, in der für Raul Zelik immer noch eine Kleinigkeit fehlt.

"Ich würde Berlin irgendwo, wo es warm ist wieder neu aufbauen. Das ist mein großer Traum gewesen - Berlin mit 360 Tagen im Jahr Sonne."