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Rebellion und richtige Reformen

Sabine Kinkartz 22. April 2003

An der Notwendigkeit von Reformen zweifelt in Deutschland niemand, doch das "Wie" bleibt umstritten. Die Gewerkschaften geben sich kampflustig. Auch meinungsstarke Ex-Politiker melden sich (wieder) zu Wort.

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Finger gegen die Agenda 2010: Ursula Engelen-KeferBild: AP

Im Streit um die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen in den Sozialsystemen hat sich nun auch der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine zu Wort gemeldet und die Partei zur offenen Rebellion gegen Gerhard Schröder aufgerufen. Der Bundeskanzler verlange von den Sozialdemokraten, bei Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kündigungsschutz und Krankengeld Wortbruch gegenüber dem Wähler zu begehen, dies müsse auf dem Sonderparteitag der SPD verhindert werden. Auch immer mehr Schröder-Kritiker aus den Reihen der Gewerkschaften erheben ihre Stimme.

Zerstörerischer Egoismus

Lafontaines Aufruf stößt bei der SPD-Führung auf scharfe Kritik. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement sagte, Lafontaine habe einen Egoismus, der zerstörerisch sei. Er werde ihm aber nicht noch einmal gelingen, die SPD an den Rand der Regierungsunfähigkeit zu bringen. Wie Clement so ist auch SPD-Generalsekretär Olaf Scholz überzeugt, dass die SPD den Reformkurs der Bundesregierung unterstützen wird. Man müsse hart diskutieren über die Reformagenda 2010, sagte er, aber er sei überzeugt, dass die Mitglieder der Partei und auch der Parteitag von der Notwendigkeit all dieser Dinge überzeugt werden könnten. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands müsse man handeln, "um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen und auch den Arbeitsmarkt zu beleben."

Olaf Scholz im Kamerasucher bei der SPD Praesidiums Klausur
SPD-Generalsekretär Olaf Scholz im Sucher einer TV-KameraBild: AP

Doch über den Weg dorthin wird weiter gestritten. Mittlerweile melden sich mehr und mehr Kritiker aus den Gewerkschaften zu Wort. Statt sozialer Einschnitte fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund mehr Investitionen und Steuergerechtigkeit. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer erklärte, niemand im DGB sei der Meinung, es könne so bleiben, wie es sei. Es müsse Veränderungen geben, und der DGB werde sich aktiv daran beteiligen, aber: "Wir sagen 'Ja' zu wirklichen Reformen, aber für uns sind wirkliche Reformen nicht Sozialabbau."

"Nicht unsere Sache"

In das geforderte Mitgliederbegehren in der SPD, bei dem die Basis über die Reformen abstimmen soll, will sich der DGB aber nicht einmischen. "Das ist nicht unsere Sache", sagte Engelen-Kefer. Von den bisher bekannten Vorhaben kritisiert sie vor allem die Lockerung des Kündigungsschutzes. Ähnliche Maßnahmen hätten schon unter der Regierung Kohl nicht zu mehr Beschäftigung geführt.

Der Reformagenda des Kanzlers setzt der DGB eine Stärkung der Wachstumskräfte entgegen. Die derzeitige Krise sei nicht durch die sozialen Sicherungssysteme verursacht worden, sondern durch die Defizite in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, so Engelen-Kefer. "Wenn wir den Mittelstand entlasten wollen, dann wäre es bei weitem sinnvoller, die Kreditsituation zu verbessern, als den Kündigungsschutz zu lockern. Das wären echte Reformen."

Auf den traditionellen Kundgebungen des DGB zum 1. Mai werden die Reformpläne wohl thematisiert werden, der IG-Metall will der Gewerkschaftsbund aber nicht nacheifern. Die Metaller haben ihre zweieinhalb Millionen Mitglieder bereits zu Massenprotesten aufrufen. Zur Begründung heißt es, der Schröder-Kurs habe mit sozialdemokratischer Politik nichts mehr zu tun.