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Rechter Klotz am Bein der Regierung

Marcus Lütticke25. März 2014

Die Übergangsregierung in Kiew steht vor enormen Herausforderungen. Während der Westen sie unterstützt, stuft Russland sie als faschistisch und illegitim ein. Doch wer sitzt eigentlich am Kabinettstisch?

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Parlamentsgebäude in Kiew (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

"Nationalisten, Neo-Nazis, Russophobe und Antisemiten haben diesen Regierungsumsturz ausgeführt. Sie geben weiterhin den Ton in der Ukraine an", sagte der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Ansprache vor russischen Abgeordneten nach dem Referendum auf der Krim. Auch in den Kreml-nahen russischen Medien ist konsequent von der "faschistischen Regierung" in Kiew die Rede.

Doch das Übergangskabinett stellt sich weitaus differenzierter dar. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk ist wohl das bekannteste Gesicht und der wichtigste Mann in der neuen Regierung. Er gehört der liberal-konservativen Vaterlandspartei von Julia Timoschenko an. Jazenjuk ist trotz seiner 39 Jahre bereits ein erfahrener Politiker. Der Jurist und Wirtschaftswissenschaftler war von Dezember 2007 bis September 2008 bereits Präsident des ukrainischen Parlaments und zuvor Außenminister seines Landes.

Neben dem Ministerpräsidenten stellt die Vaterlandspartei auch einen von insgesamt drei Vize-Ministerpräsidenten und sechs Minister, darunter die der Schlüsselressorts Inneres, Energie und Justiz.

Jazenjuk in Brüssel (Foto: ALAIN JOCARD/AFP/Getty Images)
Erfahrener Politiker - Arseni JazenjukBild: Alain Jocard/AFP/Getty Images

Vertreter des Maidan

Acht Minister im Übergangskabinett gelten offiziell als "parteilos". Sie sollen unterschiedliche Gruppen der Maidan-Protestbewegung repräsentieren. Bekanntester Vertreter dieser Gruppe ist wohl Sport- und Jugendminister Dmitri Bulatow. Der Janukowitsch-Kritiker war während der Proteste auf dem Maidan am 22. Januar von Unbekannten verschleppt und tagelang misshandelt worden. Die Täter seien Profis gewesen und hätten ihm einen Teil eines Ohres abgeschnitten, Nägel durch die Hände geschlagen und ihn mit Gummiknüppeln geschlagen, sagte er nach seiner Freilassung. Nach einer ärztlichen Behandlung in Litauen reiste Bulatow zunächst nach Berlin. Später kehrte er in die Ukraine zurück.

Wie Bulatow sind auch der Wirtschaftsminister, der Finanzminister, der Außenminister, der Bildungsminister, der Gesundheitsminister und der Kulturminister parteilose Mitglieder im Kabinett. Hinzu kommt der zweite Vize-Ministerpräsident Wolodymyr Hrojsman, der ebenfalls kein Parteibuch hat.

Klitschko taktiert

Offiziell nicht im Kabinett vertreten ist die Partei UDAR des ehemaligen Boxchampions Vitali Klitschko. Klitschko war einer der Führer der Oppositionsbewegung auf dem Maidan. Als Grund für das Fernbleiben aus dem Kabinett gab UDAR an, dass man für ein Kabinett der Technokraten und Spezialisten eintrete. Trotzdem unterstützt UDAR die Arbeit der Übergangsregierung.

Vitali Klitschko bei Dmitri Bulatow (Foto: AP)
Besuch am Krankenbett - Vitali Klischko bei Dmitri BulatowBild: picture-alliance/AP Photo

Kyryl Savin, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, vermutet, dass Klitschko es für taktisch klüger hält, nicht unmittelbar für unpopuläre Entscheidungen der Übergangsregierung mit verantwortbar gemacht zu werden. Schließlich wolle Klitschko bei den Präsidentschaftswahlen im Mai zum Staatsoberhaupt der Ukraine gewählt werden.

Die Rolle von "Swoboda"

Drei Mitglieder der Übergangsregierung kommen - wie von russischer Seite vorgeworfen - tatsächlich aus dem rechten Spektrum. Sie gehören der nationalistischen Partei Swoboda an. Neben Vize-Ministerpräsident Olexander Sytsch sind das Umweltminister Andrij Mochnyk und Agrarminister Igor Schwajka. Verteidigungsminister Igor Tenjuch, der auch "Swoboda" angehört, reichte am Dienstag (25.03.2014) seinen Rücktritt ein. Er wird durch den Generaloberst Michail Kowal ersetzt.

Der Einfluss von Swoboda in der Übergangsregierung sei sehr gering, meint Kyryl Savin. "Die kontrollieren die Regierung nicht. Die große Mehrheit in der Regierung stellt die Vaterlandspartei von Julia Timoschenko und das Wichtigste liegt in den Händen von deren Ministern."

Der ehemalige ukrainische Verteidugungsminister Igor Tenjuch (Foto: YURY KIRNICHNY/AFP/Getty Images)
Trat als Verteidigungsminister zurück - Igor TenjuchBild: Yury Kirnichny/AFP/Getty Images

Besonders in Erscheinung getreten sind die drei Swoboda-Vertreter bislang nicht. Vize-Ministerpräsident Olexander Sytsch ist Autor eines älteren Gesetzentwurfes gegen Abtreibung. Umweltminister Mochnyk stammt aus der Region um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl. "Das ist das einzige, was ihn mit Ökologie verbindet", meint Kyryl Savin. Auch Agrarminister Schwajka habe sich bislang nicht als Experte in seinem Aufgabengebiet hervorgetan.

Populistisch oder Rechtsextrem?

Die deutsche Bundesregierung bewertete die Partei Swoboda in einer Antwort auf eine Anfrage der Links-Fraktion im August 2013 als "eine rechtspopulistische und nationalistische Partei, die zum Teil rechtsextreme Positionen vertritt". Weiter heißt es in den Ausführungen: "Als Oppositionspartei im neu gewählten ukrainischen Parlament lässt sie derzeit in der Parlamentsarbeit keine offensichtlichen rechtsextremen Tendenzen erkennen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen 2012 überarbeitete die Partei 'Swoboda' ihr Wahlprogramm und entfernte rechtsextreme Statements."

Klar ist jedoch, dass Abgeordnete von Swoboda gute Kontakte zu Rechtsextremisten in anderen Ländern unterhalten. So besuchte im Mai 2013 eine parlamentarische Delegation der Swoboda unter Leitung des Parlamentsabgeordneten Michail Holowko die NPD-Landtagsfraktion in Sachsen.

Auch in der aktuellen Umbruchphase in der Ukraine machten Swoboda-Abgeordnete mit abschreckenden Aktionen von sich Reden. In Kiew wurde der Chef des ukrainischen Staatsfernsehens, Alexander Pantelejmonow, von dem Swoboda-Abgeordneten Igor Miroschnitschenko mit Schlägen attackiert, weil er mit der Berichterstattung des Senders unzufrieden war. Der Senderchef sollte gezwungen werden, seine eigene Kündigung zu unterschreiben. Ein Handy-Video des Vorfalls landete auf YouTube.

Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai wird sich zeigen, wie die Bevölkerung nach dem Umsturz über die politische Ausrichtung des Landes entscheidet. Kyryl Savin glaubt, dass Swoboda mit Parteichef Oleg Tjagnibok zur Wahl antreten wird, aber keinerlei Chancen hat: "Er liegt in Umfragen bei etwa fünf Prozent. Damit kann er ziemlich wenig erreichen."