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Rechtsruck in Deutschland?

Cornelia Rabitz19. September 2003

Immer mehr setzt sich die Ansicht durch, dass der gewaltbereite Rechtsextremismus in Deutschland gefährlicher ist, als manch einer bislang glauben mochte. Ist der Staat zu untätig, die Menschen nicht wachsam genug?

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Waffen, bereit zum EinsatzBild: AP

Das Wort vom "Rechtsterrorismus" macht in Deutschland die Runde. Der bayrische Innenminister Günter Beckstein ist einigermaßen entsetzt. "Dass Neonazis und Skinheads eine Symbiose eingehen, das haben wir gewusst. Aber dass diese Symbiose jetzt zu einer Gewaltexplosion bereit ist, das ist neu." Auch Bundesinnenminister Otto Schily spricht von einer "neuen Qualität" rechtsextremer Aktivitäten.

Die Gewerkschaft der Polizei meint, dass die Politik den Einsatz gegen den Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren vernachlässigt habe. Der Bundesinnenminister wehrt sich gegen den Vorwurf der Untätigkeit. "Wir setzen fast 400 Millionen Euro im Kampf gegen den Rechtsextremismus ein. Das Bundeskriminalamt ist tätig, das Bundesamt für Verfassungsschutz ist tätig", zählt er auf. "Wir haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen im präventiven Bereich bis hin zu dem Bündnis für Toleranz, gegen Gewalt und für Demokratie", so Schily.

Diffuse Strukturen der Szene

Rechtsextreme Gewalt ist kein neues Phänomen. Wer aufmerksam genug die Zeitungen verfolgte, konnte immer wieder von Gewalttaten, von Übergriffen auf Ausländer und Asylbewerber, von der Schändung jüdischer Friedhöfe lesen. Nur wenige Tage nachdem die Attentatspläne der Münchner Neonazis bekanntgeworden waren, haben elf Skinheads dort einen dunkelhäutigen Amerikaner überfallen. Experten verweisen gleichzeitig immer wieder darauf, dass die Szene diffus sei, eine zentrale Führerfigur fehle, die Strukturen unterschiedlich sind.

So gebe es straff organisierte Kadergruppen ebenso wie lose Zusammenschlüsse, so genannte örtliche Kameradschaften mit Namen wie "Arischer Widerstand" oder "Nationale Bewegung". Während die einen sich bei Wehrsportübungen körperlich ertüchtigten, andere sich zu offenem Terror bekennen und auch Anschläge ausführten, setzten die dritten wiederum auf ideologische Schulung und Beeinflussung. Gemeinsam sei allen Gruppierungen die zunehmende Vernetzung über das Internet. Eine wichtige Rolle spiele in der jugendlichen Skinhead-Szene auch die Musik.

Ist Deutschland untätig?

Der Berliner Politologe Professor Hajo Funke ist besorgt über eine, wie er glaubt, immer weiter verbreitete Gleichgültigkeit in der deutschen Gesellschaft, man schaue nicht mehr hin. Es habe sich, so meint er, eine Art Einverständnis mit dem alltäglichen Rassismus eingestellt. Bürger und Medien müssten klarer ausdrücken, dass sie Diskriminierung von Ausländern und Minderheiten, Anschläge auf jüdische Einrichtungen oder Demonstrationen von Neonazis nicht wollten.

Dass sich militante Rechtsextreme keineswegs nur im Osten der Republik tummeln, haben die jüngsten Vorgänge in München offenkundig gemacht. Dennoch stellt Professor Funke fest: "Die bittere Realität im Osten ist - nicht überall, aber erheblich verbreitet - dass es diese von der Jugend dominierte rassistisch-völkische Alltagskultur gibt, die massiv gewaltbereit ist." Hat man das Phänomen also nicht ernst genug genommen? Haben alle Bekundungen des Abscheus nichts gefruchtet? Was muss nun, jenseits der strafrechtlichen Sanktionierung, folgen? Fragen, die noch nicht beantwortet sind.