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World Justice Project

Rodion Ebbighausen8. Dezember 2012

In vielen Ländern der Welt leiden die Menschen unter einem schwachen Rechtsstaat. Eine globale Studie nimmt erstmals die vielfältigen Aspekte des Rechtsstaats aus Perspektive der Bürger in den Blick.

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Symbolbild Justiz Gericht Gesetz Bild: Fotolia/22 North Gallery #40258731
Bild: Fotolia/22 North Gallery

Stellen Sie sich vor, eines Morgens stehen vor Ihrer Haustür einige Männer. Die Beamten teilen Ihnen mit, dass Sie Ihr Haus bis zum Ende des Monats verlassen müssen, um einer neuen Straße Platz zu machen. Die Uniformierten drücken Ihnen ein Dokument mit diversen Stempeln in die Hand, grüßen kurz und gehen ihres Weges.

In den folgenden Wochen versuchen Sie vergeblich sich zur Wehr zu setzten. Der zuständige Beamte empfängt ohne Bestechung niemanden. Der Bruder des Provinzchefs ist der Bauherr der geplanten Straße und als Mitglied des Staatsapparates vor juristischer Verfolgung geschützt. Resigniert akzeptieren Sie schließlich die viel zu niedrige Entschädigung und suchen eine neue Bleibe.

Interviews mit 97.000 Personen

Solche und ähnliche Fälle gibt es in vielen Teilen der Welt. Der Mangel an Rechtsstaatlichkeit setzt die Bürger der Willkür der Mächtigen aus, aber nicht nur das: Er verwehrt ihnen Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Entwicklung. "Rechtsstaatlichkeit ist die Grundlage von Chancengleichheit und Gerechtigkeit", sagt William H. Neukom, Gründer und Vorsitzender des World Justice Project (WJP).

Hausruine mit chinesischer Flagge (Foto: Reuters)
Ohnmächtiger Protest gegen Abriss auf Bauland in ChinaBild: Reuters

Das WJP, eine unabhängige, nicht gewinnorientierte Organisation, hat 2012 einen Bericht zur Rechtsstaatlichkeit vorgelegt. Der Schwerpunkts des Berichts liegt dabei nicht auf der Untersuchung abstrakter Gesetze und Institutionen, sondern auf der praktischen Erfahrung der Bürger. "Der Schlüssel zum Index ist, dass er auf Interviews von 97.000 ganz normalen Menschen in 97 Ländern basiert", sagt der kolumbianische Jurist Juan Botero im Gespräch mit der Deutschen Welle.

"Die Erfahrungen der Menschen unterscheiden sich dabei von den Informationen, die man üblicherweise in den Nachrichten und bei den jeweiligen Eliten des Landes findet", sagt der Exekutivdirektor des WJP, Botero. Er erläutert den andersartigen Ansatz der Studie mit einem Beispiel: Man kann eine Regierung befragen, wie viele Polizisten sie einsetzt, um Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Um aber zu erfahren, wie sicher sich die Menschen tatsächlich fühlen, muss man die Bürger befragen.

Alltagserfahrung und Regierungssystem

Die 97.000 Teilnehmer der Studie gaben zu insgesamt neun Dimensionen des Rechts Auskunft: Einschränkung der Staatsmacht durch Gewaltenteilung, die Bekämpfung der Korruption, öffentliche Ordnung und Sicherheit, Status der Grundrechte, Transparenz der Politik, Achtung der Gesetze durch die Exekutive, das Zivil- und Strafrecht und das informelle Justizsystem.

Symbolbild Polizist miot Handschellen nd Waffe (Foto: wellphoto)
Öffentliche Sicherheit - nur ein Rechtsstaat-Element unter vielenBild: Fotolia/wellphoto

Die Autoren der Studie haben so viele verschiedene Kategorien gewählt, um alle Bereiche der Rechtsstaatlichkeit abzudecken. Die Dimensionen müssen jeweils einzeln betrachtet werden, da sie mehr oder weniger unabhängig voneinander entwickelt sein können. China nimmt zum Beispiel weltweit einen guten Platz bei der Kriminalitätsbekämpfung ein (Rang 32), aber einen der letzten, wenn es um die Einschränkung der Staatsmacht durch Gewaltenteilung geht (Rang 85). Es ist nicht möglich, die einzelnen Dimensionen des Rechts gegeneinander aufzurechnen. Man kann also nicht Sicherheit gegen Meinungsfreiheit ausspielen, wie der Bericht betont.

Faktor Einkommensniveau

Trotz aller Unterschiede der Kategorien gebe es einen universellen Kern der Rechtsstaatlichkeit, wie Botero betont. Wichtigstes Ziel der Studie sei es "zu zeigen, dass Rechtsstaatlichkeit etwas anderes ist als Herrschaft mit Gesetzen."

Der Bericht zeigt, dass es eine Korrelation zwischen Wohlstand und Rechtsstaat gibt. Alejandro Ponce warnt aber vor vorschnellen Schlussfolgerungen: "Unterschiede lassen sich teilweise durch das Einkommensniveau erklären, aber nicht vollständig." Rechtsstaat und Wohlstand stünden in einem komplexen Wechselverhältnis und die Daten ermöglichten keine eindeutige Aussage über einen Zusammenhang.

Der Westen und Deutschland

Die sogenannte westliche Welt schneidet im internationalen Vergleich überdurchschnittlich gut ab. In fast allen der neun Kategorien belegen westliche Nationen Spitzenplätze.

Deutschland zählt zu den zehn führenden Nationen weltweit, wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht. Der Bericht hebt besonders das zivile Rechtssystem hervor: "Es zeichnet sich durch die Bezahlbarkeit von Anwälten, Zugänglichkeit und Effektivität der Gerichte und das Fehlen von unzulässiger Beeinflussung des Justizsystems aus." Im Gegensatz zu diesem positiven Befund stehen Berichte über Diskriminierung von Ausländern durch Polizei und staatliche Institutionen, wie nicht nur mit Blick auf Deutschland kritisch vermerkt wird.

Große Differenzen in Asien

Asien ist die Region mit den größten Unterschieden in punkto Rechtsstaatlichkeit. Dennoch lassen sich drei Gruppen unterscheiden. Wohlhabende Nationen wie Japan und Südkorea schneiden in fast allen Bereichen sehr gut ab.

Symbolbild Menschen Asien Thailand China Japan Indien (Foto: AP/DW)
Asiatische Vielfalt - auch in punkto RechtsstaatlichkeitBild: AP/DW Fotomontage

Eine zweite Gruppe asiatischer Staaten weisen zwar ein vergleichsweise hohes Maß an öffentlicher Ordnung und Sicherheit auf, zeigen aber erhebliche Defizite bei den Grundrechten, der Unabhängigkeit der Justiz, dem Minderheitenschutz und der Korruptionsbekämpfung. Zu dieser zweiten Gruppe zählen China, Vietnam und Malaysia.

Südasien, das in der Studie mit den Ländern Indien, Pakistan, Nepal, Sri Lanka und Bangladesch vertreten ist, scheidet in dem Report schlechter ab als jede andere Region der Welt. Daran ändert auch Indiens vergleichsweise gutes System der Gewaltenteilung und der Grundrechte wenig. Die Länder dieser dritten Gruppe sind von Korruption geplagt, es mangelt an Verantwortlichkeit der Regierungen. Die Gerichte arbeiten oftmals ineffizient und langsam. Minderheiten werden in den Ländern dieser Region benachteiligt.