1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Reform für chinesische Lagerhaft?

Anny Boc25. Februar 2013

Bis zu vier Jahren kann man in China in ein Arbeitslager gesteckt werden - ohne jeden Prozess. China will die sogenannten "Umerziehung durch Arbeit" reformieren. Einige Provinzen wollen jetzt den Anfang machen.

https://p.dw.com/p/17jx4
Umerziehungslager für Frauen in China. (Foto: Reuters)
Umerziehungslager für Frauen in ChinaBild: picture-alliance/dpa

Was das System der Administrativhaft anrichten kann, hat der Fall von Tang Hui im vergangenen Sommer gezeigt. Tangs elfjährige Tochter war von Zuhältern entführt, missbraucht und zur Prostitution gezwungen worden. Die Mutter hatte mit Petitionen bei den Behörden der Provinz Hunan protestiert. Ihre Forderung: Härtere Strafen für die Peiniger ihrer Tochter. Darüber hinaus warf sie den lokalen Behörden vor, die Täter gedeckt zu haben.

Die Reaktion der Behörden: Tang Hui wurde selbst ins Arbeitslager geschickt, wegen angeblicher "Störung der öffentlichen Ordnung". Dieses Vorgehen löste eine Welle der Empörung im Internet aus.  Tang wurde wenig später aus der Haft entlassen. Einen Richter hat Tang Hui weder bei der Einlieferung ins Gefängnis noch bei ihrer Freilassung gesehen.

Haft ohne Urteil

Bis zu vier Jahren können die Sicherheitsbehörden unliebsame Personen in die "Umerziehung durch Arbeit" genannten Lager stecken - auf einfache Anordnung hin, komplett am Justizsystem vorbei. Dieses Willkürsystem wurde 1957 von Mao Zedong eingeführt: Primär für das schnelle Wegsperren von "Rechtsabweichlern" und "Konterrevolutionären". Mit der Zeit wurde es ausgeweitet auf Kleinkriminelle, Prostituierte, Drogenhändler und Diebe. Dieses Lagersystem existiert parallel zum regulären Justizvollzug und unterliegt der Kontrolle des Büros für öffentliche Sicherheit, nicht dem Gericht. Für die Einweisung in die Arbeitslager braucht es keine offizielle Anklage, entsprechend auch keine Gerichtsverhandlung.

Amtliche Statistiken über die Anzahl der Häftlinge fehlen. Nach Schätzung von Human Rights Watch befinden sich in China derzeit rund 160.000 Inhaftierte in 350 Arbeitslagern.

Insassen der Umerziehungslager unterliegen der Willkür des chinesischen Systems. Es gibt keine Möglichkeit sich zur Wehr zu setzen. (Foto: Reuters)
Insassen der Umerziehungslager unterliegen der Willkür des chinesischen Systems. Es gibt keine Möglichkeit sich zur Wehr zu setzen.Bild: picture-alliance/dpa

Das System der "Umerziehung durch Arbeit" - Laojiao auf Chinesisch - steht schon seit Jahren in der Kritik. Es verstößt nicht nur gegen internationale Menschenrechtsstandards. Es hat auch im chinesischen Rechtssystem keinerlei rechtliche Grundlage. Kritikern zufolge ist es illegal. Weil es in der chinesischen Verfassung heißt: "Kein Bürger darf ohne Genehmigung oder Entscheidung einer Volksstaatsanwaltschaft oder ohne Entscheidung eines Volksgerichts verhaftet werden."

Zeichen von Wandel?

Anfang des Jahres ist Bewegung in die Diskussion um das "Laojiao-System" gekommen. Ausgangspunkt war das neue Politbüromitglied Meng Jianzhu, seit November in der KP zuständig für das Polizei- und Justizwesen des Landes.  Meng hatte angekündigt,  das System der Umerziehungslager noch im Jahr 2013 abschaffen zu wollen. Diese Aussage wurde zunächst von den staatlichen Medien zitiert. Stunden später jedoch war sie wieder gelöscht. Stattdessen war nur noch "Reformen" der Arbeitslager die Rede,  die die chinesische Regierung noch in diesem Jahr vorantreiben wolle.

"Die Regierung reagiert mit der plötzlichen Ankündigung sowohl auf die lauten Stimmen aus der Bevölkerung als auch auf den Druck der internationalen Gemeinschaft", vermutet der chinesische Menschenrechtsanwalt Tang Jitian aus Peking im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Für Wolfgang Büttner von Human Rights Watch ist die Ankündigung zwar ein Hoffnungszeichen. Aber Zweifel bleiben: "Human Rights Watch und viele andere Menschenrechtsorganisationen bleiben skeptisch, ob es tatsächlich zu einer Abschaffung kommt oder ob es eben nur kosmetische Veränderungen geben wird." 

Immerhin hat nach Informationen der Zeitung "Nanfang Daily" die südchinesische Provinz Guangdong am 28. Januar 2013 erklärt, ihre Umerziehungslager noch in diesem Jahr schließen zu wollen. Einschränkend hieß es aber weiter, dies müsste erst von Chinas wichtigstem Gesetzgebungsorgan, dem Nationalen Volkskongress, genehmigt werden.

Erste Schritte geplant

Die südwestlichen Provinz Yunnan zog nach. Sie kündigte an, vorerst die Einweisungen in die Umerziehungslager einzustellen. Tags darauf wurde diese Ankündigung jedoch revidiert. "Einige Medien haben die Aussage überinterpretiert", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua einen Beamten aus Yunnan. Der Fahrplan zur Reform der Umerziehungslager werde zudem von der Zentralregierung festgelegt, und nicht von den Provinzen, ergänzte der Beamte.

chinesische Rechtsanwalt Tang Jitian: Das Laojiao-System gehört abgeschafft. (Foto: privat) Foto: Tang Jitian, eingestellt am 16.2.2011
Rechtsanwalt Tang Jitian: Das Laojiao-System gehört abgeschafftBild: Tang Jitian

Für den Anwalt Tang Jitian jedenfalls steht fest, dass eine bloße Reform des Lagersystems zu wenig wäre. Und: Je früher das System abgeschafft werde, desto förderlicher sei dies für die soziale Stabilität und für den Schutz der Grundrechte. Die chinesische Regierung spricht allerdings deutlich lauter von Reformen als von  Abschaffung. Das lässt vermuten, das alte System könnte unter neuem Namen weiter bestehen.