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"Reformen und Schlitzohrigkeit"

Daphne Grathwohl1. März 2012

Die Wirtschaftspolitik steht im Fokus des EU-Gipfels. Die Schuldenländer bräuchten allerdings neben Geld auch europäische Hilfe bei Strukturreformen, meint Norbert Walter, der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank.

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Norbert Walter, dem Ex-Chefvolkswirt der Deutschen Bank und jetzigem Consultant. Copyright: Walter & Töchter
Norbert Walter, Ex-Chefvolkswirt der Deutschen BankBild: Walter&Töchter

Deutsche Welle: Herr Professor Dr. Walter, beim kommenden EU-Gipfel soll der sogenannte Fiskalpakt unterzeichnet werden. Was soll diese neue Vereinbarung mehr können als der bereits bestehende und vielfach unbeachtete Stabilitätspakt?

Norbert Walter: Ich bin ganz zufrieden damit. Es ist ein gutes Zeichen, dass Deutschland, das selbst die Schuldenbremse in der Verfassung verankert hat, die Vorschläge zum Fiskalpakt gemacht hat. Natürlich ist nicht garantiert, dass der Fiskalpakt funktioniert. Aber die Vorausbedingungen sind besser als früher. Denn es richten nicht mehr Sünder über Sünder, sondern wenn bestimmte Indikatoren erreicht sind, tritt automatisch eine Sanktion ein. Deshalb muss man den Fiskalpakt unterstützen. Und manchmal muss man auch schlitzohrig sein.

Was bedeutet das?

Manchmal muss man Mittel zurückhalten, bis die Schuldenstaaten ihre Politik umgestalten. Zudem ist es unsinnig, Geldstrafen von einem Staat zu verlangen, der kein Geld hat. Gescheiter wäre, die versprochenen Mittel auf ein Sperrkonto zu stellen. Insgesamt glaube ich, dass der Fiskalpakt besser bewehrt ist als der Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Die Aufstockung des permanenten Rettungsschirms ESM sollte auf dem kommenden EU-Gipfel beschlossen werden. Das ist jetzt verschoben worden, auch, weil Deutschland sich dagegen wehrt. Wie weit reicht die Solidarität der Geberstaaten noch?

Für Länder wie Griechenland sind strukturelle Reformen erforderlich. Die Mittel, die man jetzt bereitgestellt hat, sind Mittel für die nächsten zwei Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Reformen, die frühestens jetzt begonnen werden, in zwei Jahren schon greifen und den Kapitalmarkt schon überzeugt haben, ist nicht sehr groß. Das weiß der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble ja auch. Und ehrlich wie er ist, hat er schon vor der Entscheidung des Bundestages am Montag (27.2.2012) angedeutet, dass wohl ein drittes Programm erforderlich sein dürfte, bevor die Problemländer wieder kapitalmarktfähig sind.

Bislang geht es nur um Sparen. Jetzt werden die Rufe nach neuen Investitionsplänen immer lauter, um die abgewürgte Wirtschaft, vor allem in Griechenland, wieder in Schwung zu bekommen. Woher soll dieses Geld kommen?

Wir befinden uns ja nicht in der Staatswirtschaft. Investitionen sind vielmehr Ausgabeentscheidungen von Unternehmen. Nehmen wir zum Beispiel die Privatisierung von Staatsbetrieben: Hier könnten rentable Investitionen auf den Weg gebracht werden. Doch gerade Länder wie Griechenland können diese Hilfen aus Europa nicht ausschöpfen. Denn offenkundig waren bislang die Verwaltungen der Kommunen in Griechenland unfähig, die notwendigen Voraussetzungen für Investitionenzu schaffen. Es braucht also Reformen, nicht nur Geld. Erforderlich ist eine Infrastruktur, die manchmal nicht durch die Talente vor Ort bereitgestellt werden kann. Das erinnert mich an die deutsche Wiedervereinigung. Da war es westdeutschen Banken klar, dass ostdeutsche Banken nur dann schnell funktionieren, wenn westdeutsche Manager für fünf bis zehn Jahre nach Ostdeutschland gehen und dort beim Aufbau eines Bankensystems helfen. Lehrlinge aus Ostdeutschland machten ihre Lehre in einer westdeutschen Bank und waren danach qualifizierte Mitarbeiter für dieses moderne Bankensystem. Genau diese Schritte der technischen Hilfe braucht Griechenland meines Erachtens jetzt. Und wenn die Griechen klug sind, laden sie solche Hilfe ein. Und die Geberländer tun gut daran, solche Hilfe beispielsweise für höhere Steuereffizienz oder für die Einrichtung von Grundbüchern bereitzustellen.

Die Rettungspakete sollen nicht nur den Schuldensstaaten dienen, sondern auch vor dem so genannten Domino-Effekt schützen. Wie groß ist dieser Domino-Effekt tatsächlich?

Die Spekulanten der Welt haben sich über die Frage, wer nach Griechenland dran ist, bereits Gedanken gemacht. Das haben wir an den Märkten schon beobachtet, wenn wir sehen, wie Portugal behandelt wird. Insofern ist die Argumentation über potentielle Domino-Effekte ernst zu nehmen. Wer behauptet, Griechenland abschneiden zu können und damit die Probleme endgültig ausgetrocknet zu haben, wird wahrscheinlich irren. Wir müssen aber auch darüber nachdenken, wie wir systematischer mit der freiwilligen Umschuldung privater Gläubiger umgehen, so dass es geordnete Verhältnisse gibt für möglicher künftige Umschuldungen. Jemand, der über längere Zeit hohe Zinsforderungen an ein Land stellt, bekommt damit zum Teil auch ein Ausfallrisiko ersetzt. Damit muss der Investor aber auch das Risiko des Ausfalls tatsächlich tragen, wenn er eintritt. Derzeit scheinen die, die zehn, zwölf Prozent Anleihezinsen kassieren, zu glauben, sie hätten darauf ein ewiges Recht, notfalls auch über Steuerzahler anderer Länder. Diese Erwartung sollte man nicht nähren.

Prof. Dr. Norbert Walter war bis Ende 2009 Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Anschließend gründete er sein eigenes Unternehmen und nimmt in verschiedenen Publikationen Stellung zu aktuellen Entwicklungen der Weltwirtschaft.

Das Interview führte Daphne Grathwohl
Redaktion: Dеnnis Stutе