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Das Jahr in der EU

Christoph Hasselbach23. Dezember 2008

Trotz der umtriebigen französischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte sind 2008 viele Fragen in der EU offen geblieben. Die Stichwörter sind: Lissabon-Vertrag, Finanzkrise und Russland. Ein Rückblick.

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Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy mit seinem Außenminister Bernard Kouchner vor dem EU-Parlament (Foto: dpa)
EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy (r.) und Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner vor dem EU-ParlamentBild: picture-alliance/ dpa

Ein mehr als selbstbewusster französischer Präsident Nicolas Sarkozy fasste am Ende des Jahres ein wenig augenzwinkernd seine sechs Monate an der Spitze der EU so zusammen: "Ich glaube, niemand kann heute bestreiten, dass man einen zupackenden Ratspräsidenten, dass man wirkliche Führung braucht." Viele finden Sarkozy arrogant und eitel, doch viele waren auch froh, dass einige turbulente Ereignisse ausgerechnet in seine EU-Ratspräsidentschaft fielen.

Irland lehnt Lissabon-Vertrag ab

Bus in Irland mit Aufschrift "Yes" neben Plakatwand mit Aufschrift "No" (Foto: dpa)
Am Ende stimmten die meisten irischen Wähler mit "Nein"Bild: picture-alliance/ dpa

Mit einem Paukenschlag hatte die eher unauffällige slowenische Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2008 geendet: Die Iren lehnten den Lissabon-Vertrag in einem Referendum ab. Damit war die mühsame Suche nach einer inneren Reform der EU erneut ins Leere gelaufen, denn Franzosen und Niederländer hatten dem vorangegangenen Verfassungsvertrag bereits 2005 eine Absage erteilt. Irlands Ministerpräsident Brian Cowen zeigte sich im Juni ziemlich ratlos. "Irland braucht jetzt Zeit, um das Ergebnis zu analysieren und Optionen zu suchen", sagte er.

Doch statt lange nachzudenken, machte sich die neue französische Ratspräsidentschaft zunächst an weitere Projekte. Präsident Nicolas Sarkozy hob die Mittelmeerunion aus der Taufe und hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für den Klimaschutz. Er betonte, die jetzige Generation sei die letzte, die "die Katastrophe verhindern kann".

Krieg im Kaukasus

Zerstörter Panzer (Foto: AP)
Fünf Tage lang führten Russland und Georgien Krieg um die Regionen Abchasien und SüdossetienBild: AP

Doch die französische Präsidentschaft hatte kaum begonnen, da brach im August Krieg zwischen Georgien und Russland aus. Russische Truppen marschierten in Georgien ein. Die EU zeigte sich entsetzt. Für Kommissionspräsident José Manuel Barroso war sofort klar, dass "wir im Lichte der jüngsten Ereignisse nicht so weitermachen können, als wenn nichts geschehen wäre".

Als Folge setzte die EU die Verhandlungen mit Russland über ein neues Partnerschaftsabkommen aus. Gleichzeitig gelang es Präsident Sarkozy, einen Waffenstillstand auszuhandeln.

Gemeinsam gegen die Finanzkrise

Symbolbild EU-Maßnahmen gegen die Finanzkrise (Gradik: DW)
Europa stemmt sich gegen die FinanzkriseBild: DW

Doch die akute Krise war gerade halbwegs ausgestanden, da brach von einer ganz anderen Seite neues Unheil über Europa und die gesamte Welt herein: Von den USA ausgehend, bedrohte die Finanzkrise erst einzelne Banken, dann ganze Volkswirtschaften. Verschiedene Regierungen in Europa eilten zunächst nur ihren eigenen Banken zu Hilfe, was einen gefährlichen Wettlauf um den besseren staatlichen Schutz auslöste. Währungskommissar Joaquín Almunia rief dringend zu gemeinsamem Handeln auf.

Nur zögernd stimmten sich die Regierungen schließlich gegenseitig ab, konnten damit aber spektakuläre Zusammenbrüche wie in den USA vermeiden. Seitdem gilt die Koordination, die Spielräume für nationale Besonderheiten lässt, als positives Schlüsselerlebnis in der EU.

Sorgenkind Autoindustrie

Stoppschild vor Opel-Karosserie (Foto: dpa)
Die Menschen geben immer weniger Geld für Autos ausBild: picture-alliance/ dpa

Als besonderes Sorgenkind neben den Banken entpuppte sich die Autoindustrie, ein Schlüsselsektor in mehreren Mitgliedstaaten. An der Autoindustrie wollte die EU aber auch demonstrieren, dass Investitionen im Umweltschutz Arbeitsplätze sichern.

Um die Umstrukturierung zu finanzieren, forderten die Autobauer allerdings, bei den geplanten Strafzahlungen für zu hohen Flottenverbrauch geschont zu werden. Industriekommissar Günter Verheugen setzte sich beim so genannten Autogipfel im November an ihre Spitze. Die Hersteller setzten tatsächlich Abmilderungen durch. Verheugen brachte sich damit in einen offenen Gegensatz zu seinem Kollegen, Umweltkommissar Stavros Dimas.

Kampf der Piraterie

Von Piraten geentertes Schiff vor der Küste Somalias (Foto: AP)
Eines von vielen Schiffen, das vor der Küste Somalias von Piraten geentert wurdeBild: AP

Wochenlang gab es im Herbst kaum ein anderes Thema in Brüssel als die Finanz- und Wirtschaftskrise. Doch allmählich rückten auch wieder andere Dinge in den Vordergrund wie etwa die überhand nehmende Piraterie am Horn von Afrika. Die NATO hatte bisher versucht, den Übergriffen Einhalt zu gebieten. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop-Scheffer erläuterte bei einem gemeinsamen Auftritt mit EU-Chefdiplomat Javier Solana den Ernst der Lage für die internationale Schifffahrt. Im Dezember startete die EU die erste Marinemission ihrer Geschichte.

Das Europaparlament zeigte unterdessen erneut seine politische Unabhängigkeit. Gegen den erbitterten Widerstand der chinesischen Regierung und auch gegen die Mahnung zur Rücksichtnahme gegenüber Peking aus den Reihen der EU zeichnete es Ende Oktober den chinesischen Aktivisten Hu Jia mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit aus. Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering betonte, mit der Ehrung erkenne das Europäische Parlament "mit Nachdruck und Entschlossenheit den täglichen Kampf für Freiheit aller Verteidiger der Menschenrechte in China" an.

Peking beließ es zunächst bei Protesten. Doch als das Europaparlament wenig später den Dalai Lama zu einer Rede einlud, ließ die chinesische Regierung einen lange geplanten EU-China-Gipfel in Frankreich kurzfristig platzen.

Dagegen verbesserten sich die Beziehungen zu Russland wieder. Obwohl Russland noch nicht alle Bedingungen des Waffenstillstandes mit Georgien erfüllt hatte, fand die große Mehrheit der EU-Außenminister im November, man solle formale Gespräche wiederaufnehmen. Zu den Fürsprechern gehörte auch Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Fortschritte am Jahresende

Währenddessen wurde weiter über Klimaschutzmaßnahmen verhandelt, zumal die EU ihre weltweite Vorreiterrolle beim Klimaschutz verteidigen wollte. Seit in den USA Barack Obama zum Präsidenten gewählt worden war, witterten die Europäer Morgenluft in der weltweiten Klimapolitik. Beim EU-Gipfel im Dezember verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs das lange angekündigte Klimapaket. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte den Beschluss und betonte, die Eckpunkte des Klimapakets seien während der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 gesetzt worden.

Für enorme Erleichterung sorgte beim Gipfel die irische Regierung. Ministerpräsident Brian Cowen sagte ein zweites Referendum zum Reformvertrag zu. Die Zugeständnisse der anderen waren allerdings erheblich. Vor allem soll es nun doch bei je einem Kommissar pro Land bleiben; eigentlich war eine radikale Verkleinerung der Kommission vorgesehen.

Besorgter Ausblick

Der tschechische Präsident Vaclav Klaus (l.) mit Regierungschef Mirek Topolanek (Quelle: dpa)
Der tschechische Präsident Vaclav Klaus (l.) mit Regierungschef Mirek TopolanekBild: picture-alliance/ dpa

Doch Sorgen machen sich viele Europapolitiker erst einmal über die neue tschechische Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2009. Die Ratifikation des Lissabon-Vertrages steht auch in Tschechien noch aus. Und Präsident Vaclav Klaus ist offen gegen den Reformvertrag und unterhält Verbindungen zum Anführer der irischen Nein-Kampagne, Declan Ganley.

Klaus hat es auch abgelehnt, während der Ratspräsidentschaft dauerhaft die Europaflagge über seiner Residenz wehen zu lassen, was viele als unheilvolles Symbol deuten. Bei seinem geplanten Auftritt vor dem Europaparlament im Februar soll Klaus jedenfalls mit der tschechischen und der Europahymne begrüßt werden.

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