1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die dem Hagel trotzen

30. August 2010

Der Klimawandel eröffnet den deutschen Obstbauern neue Möglichkeiten. Im brandenburgischen Müncheberg werden Obstsorten gezüchtet, die man bisher eher in südlichen Gefilden vermutet hat.

https://p.dw.com/p/Owke
Obstbauversuchsstation Müncheberg, blaue Tafeltrauben im August 2010 (Foto: DW)
Die "Müncheberger Tafeltraube"Bild: DW

Hilmar Schwärzel ist Herr über eine 32 Hektar große Obstplantage im brandenburgischen Müncheberg. Hier wird erforscht, welche Obstarten und -sorten sich zukünftig für den Anbau in der Region besonders eignen. Während der 51-jährige promovierte Gartenbauwissenschaftler das Spalier der Bäume abschreitet, greift seine Hand in die Zweige und fördert eine goldgelbe Birne zutage. "Sehen Sie mal, wie viele Hagelschläge die hier hat: eins, zwei drei, vier ..." Bei sechs hört er auf zu zählen. Stolz schwingt mit in Schwärzels Stimme. Denn der Hagel hat "Le Bruns Butterbirne" nicht zum Faulen gebracht, sondern die Einschläge sind vernarbt. So muss Obst sein, das dem Klimawandel widersteht.

Der Hagel war in diesem Jahr nur eine Attacke auf Schwärzels Schützlinge. Davor waren sie einem Winter mit minus 26 Grad und danach späten Maifrösten ausgesetzt. Zuletzt kam noch sommerlicher Starkregen dazu. Ein Härtetest, wie geschaffen für die Versuchsstation, die Schwärzel leitet.

"Keine Frage - das funktioniert"

Hilmar Schwaerzel, Leiter der Obstbauversuchsstation Müncheberg in Brandenburg, an einem Feld mit Aprikosensämlingen (Foto: DW)
Hilmar Schwärzel und seine ZüchtungenBild: DW

Von Trüffel, der an Eichenwurzeln wächst, über Kulturheidelbeeren, Himbeeren, sämtliche regionale Steinobstarten und rund 1000 Apfelsorten bis hin zu Kiwi und Weintrauben reicht die Palette der Obstarten, die auf dem Prüfstand stehen. Schwärzel macht an einem Weinstock Halt und ist wieder zufrieden. Da wachsen bis zu anderthalb Kilo schwere Tafeltrauben. "Und das, obwohl wir in diesem Jahr alles durchhaben, was an ungünstigen Witterungsverhältnissen möglich ist", erinnert der Züchter. "Keine Frage, das funktioniert." Wenn Brandenburg einen Goldenen Herbst erlebt, dann rechnet er mit einem ganz fantastischen Aroma.

Auf zwei ungarische Tafeltraubensorten setzt Schwärzel besondere Hoffnungen. Einige Pflanzen haben überraschend mehrere harte Winter überlebt. Jetzt müssen sie noch regenfester werden. Schwärzel überlegt, sie mit der Rebe "Mitschurinski" zu kreuzen, benannt nach einem berühmten russischen Züchter.

Fremdlinge haben es schwer

Wer glaube, man könne einfach Pflanzen aus Südeuropa oder Übersee hier hereinholen und massenhaft anbauen, der werde Schiffbruch erleiden, meint Schwärzel und zeigt auf eine Reihe von amerikanischen Pfirsichbäumen, die derzeit getestet werden: "Wir müssten in diesem Jahr eigentlich dankbar sein, dass sie uns bei 26 Grad Kälte nicht erfroren sind. Wir haben aber keinen Fruchtertrag." Wenn das im zweiten Jahr hintereinander passiere, dann müsse man sich fragen, ob der Anbau der importierten Sorten lohne. Denn zum Vergleich: An den standorterprobten Pfirsichbäumen mitteldeutscher Herkunft, die gegenüber stehen, hängen viele runde, feste Früchte mit grün-roter Schale und weißem Fruchtfleisch.

Generationen von Züchtern haben an diesen "harten Burschen" gearbeitet, nun erntet man in Müncheberg - im wahrsten Wortsinn - die Früchte der Arbeit. Denn die länger gewordene Vegetationsperiode und steigende Durchschnittstemperaturen machen den Anbau von Pfirsichen, Aprikosen, neuen Kirschsorten oder Tafeltrauben immer attraktiver.

Expedition mit Spätfolgen

Obstbauversuchsstation Müncheberg, heimische Pfirsichsorte im August 2010 Foto: Bernd Gräßler
"Harte Burschen": Pfirsiche, die dem Hagel trotzenBild: DW

Doch die andere Seite sind harte brandenburgische Winter, Spätfröste und immer häufiger Starkregen im Sommer. Die Früchte der ungarischen Aprikosensorten reißen bei Sommergewitter auf wie Pellkartoffeln, berichtet Schwärzel. Er vertraut deshalb auf schon lange heimisch gewordene Sorten.

Auf einem Feld wachsen Sämlinge des Aprikosengehölzes "Hinduka M". Es sind Nachkommen von Pflanzen, die in den 1930er-Jahren Erwin Baur, der Gründer der Müncheberger Versuchsstation des damaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts, aus Afghanistan mitgebracht hatte. Diese Hinduka-Pflanzen sind der robuste Unterbau für die verschiedensten Aprikosensorten. Es gibt in Müncheberg aber auch Sorten aus dem Mansfelder Land in Mitteldeutschland, wo bereits seit 250 Jahren Aprikosen angebaut werden.

Die Sorte muss zur Region passen

Die heutigen Pflanzen sind das Produkt von Auslese, Kreuzung und Veredlung - über Jahrhunderte hinweg. In den breiten Kronen von Schwärzels Hinduka-Bäumen überleben selbst bei Spätfrost immer noch genügend Blüten für eine mittlere Ernte. Ihre Wurzeln faulen nicht durch aufgestaute Nässe, sie widerstehen dem berüchtigten Scharka-Virus, der die Frucht deformieren und Bäume vernichten kann.

Allerdings warnt der Wissenschaftler: So wenig sich fremde Sorten einfach nach Brandenburg verpflanzen ließen, so wenig könne auch die Müncheberger Station Patentlösungen für ganz Deutschland oder Europa liefern. "Unser Zielgebiet ist die Anbauregion von Brandenburg bis Mitteldeutschland", sagt Hilmar Schwärzel bescheiden.

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz