1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Regierungskrise in Pakistan

Ana Lehmann | Hans Spross15. Januar 2013

Ein populistischer Prediger fordert vor begeisterten Anhängern den Rücktritt der Regierung und Auflösung der Parlamente, das oberste Gericht die Verhaftung des Regierungschefs. Die Armee wartet ab.

https://p.dw.com/p/17KSN
Anhänger von Tahir ul Qadri Foto: T. Mughal (EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

"Wartet ab, morgen werden wir Gerechtigkeit erfahren", rief der  pakistanisch-kanadische Kleriker Tahir ul-Qadri am Dienstag (15.01.2013) in Islamabad seinen zehntausenden Anhängern mit donnernder Stimme zu. Er hatte der Regierung Korruption und Ineffizienz vorgeworfen und ihr ein Ultimatum gestellt: Am selben Tag noch sollte sie das Parlament auflösen. Unter Führung der Armee sollte dann eine Übergangsregierung eingesetzt werden. Als die Frist des Ultimatums verstrich, rief der 61-jährige Prediger: "Ich bitte Euch, bis morgen zu bleiben", und fügte unter dem Jubel der Menge hinzu: "Ich werde bleiben".

Dann die überraschende Meldung, nur wenige Stunden später: Der Oberste Gerichtshof in Pakistan ordnete die Festnahme von Ministerpräsident Raja Pervaiz Ashraf wegen Korruptionsvorwürfen an. Neben dem Regierungschef hätten die Richter am Dienstag Haftbefehle gegen 15 weitere Personen erlassen, berichten Nachrichtenagenturen unter Berufung auf pakistanische Gerichtskreise. Bei den Vorwürfen gehe es um Unregelmäßigkeiten rund um private Kraftwerke aus der Amtszeit Ashrafs als Wasser- und Energieminister.

Dass das ein zeitlicher Zufall sei, glaubt kein Beobachter der pakistanischen Politik. Die Frage ist nur, welcher Zusammenhang besteht.

Justiz gegen Regierung

Eine Theorie besagt, dass sich das Gericht die aktuelle Protestbewegung zunutze macht, um ein schon seit längerem anhängiges Korruptionsverfahren gegen den Regierungschef jetzt in die entscheidende Phase zu bringen. Das Gericht und seine Vorsitzender Ifthikar Mohammad Chaudhry befinden schon länger im Clinch mit der Regierung von Präsident Zardari. Einen Sieg hatte das Gericht bereits im vergangenen Sommer erzielt, als Ashrafs Vorgänger Gilani sein Amt, nach längerem juristischen Tauziehen, ebenfalls im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen abgeben musste.

Pakistans Premierminister Raja Pervez Ashraf Foto: B.K. Bangash
Pakistans Premierminister Raja Pervez AshrafBild: AP

Rolle des Militärs

Andererseits sagen viele Beobachter, dass die von dem Prediger angeführte Protestbewegung dem Militär in die Hände spielt und dass sich das Gericht mit seinem Vorgehen für die Interessen des Militärs einspannen lässt. Das Militär lehne sowohl Präsident Zardari als auch dessen politischen Hauptrivalen, den Führer der konservativen Partei "Muslim Liga", Nawaz Sharif, ab, fühle sich aber zu schwach, selber die Macht zu übernehmen. Im Mai sollen voraussichtlich Parlamentswahlen stattfinden. Die "New York Times" zitiert den politischen Experte Najam Sethi: "Das Militär spielt seine Karten aus und versucht, Einfluss auf den Wahlprozess zu nehmen. "Man will verhindern, dass Zardari und Nawaz freie Bahn haben bei den Wahlen."

Der pakistanische Journalist Saleem Bukhari sieht die Rolle des Militärs anders, wie der gegenüber der Deutschen Welle ausführte: "Das Militär hätte in der Vergangenheit schon bei vielen Gelegenheiten intervenieren können. Aber es hat dies nicht getan. Ich glaube nicht, dass die Armee bereit ist, einzuschreiten. Aber wenn die Situation zur Anarchie eskaliert, dann ist es die verfassungsgemäße Verantwortung der Armee, sicherzustellen, dass Pakistans Integrität und Solidarität intakt bleiben."

Kleriker mit politischen Ambitionen

Der Prediger Tahir ul-Qadri  ist ein namhafter Kleriker in Pakistan. Er war früher in der Politik aktiv und wollte sogar Ministerpräsident werden, berichtet der pakistanische Publizist Mohsan Raza Khan. Qadris eigene religös orientierte Partei  errang bei den Wahlen im Oktober 2002 jedoch nur einen einzigen Sitz. Der spätere Präsident und Ex-General Musharraf  berücksichtigte ihn noch nicht einmal für einen Ministerposten. Daraufhin gab Qadri sein Mandat im Parlament ab, wanderte nach Kanada aus, nahm dort die kanadische Staatsbürgerschaft an. "Nun versammelt er Tausende von Menschen, protestiert gegen die Regierung und fordert sogenannte Wahlreformen", so Raza Khan. Ihn verwundert, dass nach Qadris Vorstellungen erst die Parlamente des Landes aufgelöst und dann Reformen durchgeführt werden sollen. "Nun haben wir einen Demonstranten in Islamabad, der aufgrund seiner doppelten Staatsangehörigkeit nicht mal an Wahlen teilnehmen darf", so Raza Khan.

Der Kleriker Tahir ul Qadri Foto: T. Mughal (EPA)
Der Kleriker Tahir ul Qadri spricht aus einer schusssicheren BoxBild: picture-alliance/dpa

Unzufriedenheit in der Bevölkerung

Es sei nicht erstaunlich, dass gerade jetzt ein Mann wie Qadri auftaucht und in der Bevölkerung Anklang findet, meint Ahmed Awais, führendes Mitglied der am Obersten Gerichtshof angemeldeten Rechtsanwälte. Vor dem Hintergrund von galoppierender Inflation, zusammenbrechender Wirtschaft und politischem Chaos sei die Unzufriedenheit riesig. "In Pakistan gelten die Interessen des normalen Bürgers nichts mehr, auch wenn alle Grundrechte der Verfassung die Rechte und Interessen des normalen Bürgers schützen sollen. Die Politiker interessieren sich dafür nicht." In einem solchen Vakuum sei es kein Wunder, so Awais, "dass ein solcher Wirbelsturm wie jetzt in Gestalt des Predigers Qadri und seiner Protestbewegung auftaucht."

Unklar ist, wer seine aufsehenerregende Medien-Kampagne zum politischen Umsturz unterstützt. "Wer ihm die riesigen Mengen Geld für seine Kampagne gibt, ist ein großes Fragezeichen", so Awaiz. Er geht davon aus, dass der Prediger wohlhabende Gönner im Ausland haben muss. Denn er habe dort seine religiösen Videobotschaften verkauft.