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Regierungskrise und Proteste in Albanien

Adelheid Feilcke-Tiemann27. November 2003

Von Flügelkämpfen geschwächt sieht sich die sozialistische Regierung in Albanien plötzlich einer erwachenden Opposition gegenüber. Seit Tagen rufen die Demokraten zu Protesten auf.

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Ex-Präsident und Oppositionsführer Sali Berisha und Ministerpräsident Fatos NanoBild: AP

Der Vorwurf lautet: Wahlbetrug - die Forderung: Neuwahlen! Erstmals seit drei Jahren geht die Opposition in Albanien wieder auf die Straße, um mit Demonstrationen einen Politikwechsel zu erzwingen. Oppositionsführer und Ex-Präsident Sali Berisha beschuldigt die Sozialistische Partei, die Kommunalwahlen vom 12. Oktober manipuliert zu haben. Berishas Hauptkritik richtet sich gegen Ministerpräsident Fatos Nano.

Wahlkampf mit Hip-Hop-Gesang

Direkter Auslöser der Demonstrationen war das vor wenigen Tagen veröffentlichte Endergebnis der jüngsten Kommunalwahlen, das den Sieg des sozialistischen Kandidaten auch in der Hauptstadt Tirana amtlich machte: Wiedergewählt wurde der exzentrische Bürgermeister Edi Rama, der unter anderem mit Hip-Hop-Gesang Wahlkampf machte. Über Wochen war die Bestätigung des Abschlussergebnisses verzögert worden, weil es in den Wahlkommissionen zu keinem Konsens gekommen war. Die Opposition beharrt darauf, dass sie durch Wahlbetrug um den Sieg ihres Kandidaten gebracht wurde.

Innerparteiliche Machtkämpfe

Die nun täglich geplanten Demonstrationen der Opposition zwingen die Regierungspartei in Tirana, sich mit anderem als sich selbst auseinander zu setzen. Denn seit Monaten waren die Sozialisten, die seit 1997 an der Regierung sind, nur mit innerparteilichen Machtkämpfen beschäftigt. Im Sommer eskalierte der lange schwelende Machtkampf zwischen dem Regierungschef und Parteivorsitzenden Fatos Nano und seinem innerparteilichen Widersacher Ilir Meta. Meta räumte schließlich den Posten des Außenministers und Vizepremiers, ohne aber von seinem innerparteilichen Machtanspruch abzulassen.

Verweigerung der Zustimmung

Wie tief die Kluft zwischen den Lagern innerhalb der Partei inzwischen ist, wurde deutlich, als die Bestätigung zweier neuer Minister im Parlament scheiterte, weil die Meta-Gruppe ihre Zustimmung zu den Nano-Kandidaten verweigerte. Eine verfahrene Situation, die wohl erst nach dem Parteitag der Sozialisten am 12. Dezember geklärt werden wird. Dort soll sich zeigen, wer die Partei hinter sich hat.

Bürgermeister Edi Rama greift nach dem Vorsitz

Hauptkonkurrent im Rennen um den Vorsitz und Anführer der Rebellen oder Reformer um Ilir Meta ist seit wenigen Tagen Edi Rama. Der bisher parteilose Bürgermeister von Tirana trat erst im Oktober der Sozialistischen Partei bei, um wenige Tage später seine Kandidatur gegen Nano zu verkünden. Seitdem bläst dem einstigen Star ein kalter Wind entgegen. Rama verurteilt die Anfeindungen: "Sich gegenseitig anzugreifen, zu beschuldigen, ist kein Ausweg, keine Lösung. Das zerstörerische Virus, das die Demokratische Partei Berishas in einen Bunker verwandelt hat, hat leider auch den Verstand vieler unserer Leute schon ergriffen, die kein Problem mehr haben, sich gegenseitig zu beschuldigen als wären sie Staatsanwälte, Richter oder Gefängniswärter."

Unwahrscheinlicher Richtungswechsel

Obwohl Nanos Kritiker, zu denen neben Edi Rama auch Ex-Präsident Rexhep Meidani gehört, dem Parteichef einen autokratischen und undemokratischen Führungsstil vorwerfen, hat er immer noch die Partei-Delegierten ganz mehrheitlich hinter sich. Daher ist zwar ein Richtungswechsel in der Links-Partei beim Parteitag eher unwahrscheinlich, doch mit ihren unversöhnlich zerstrittenen Lagern im Parlament ist die Partei praktisch regierungsunfähig.

Behinderung von Demokratikratisierungsprozessen

Der Beginn der Demonstrationen ist jedoch für Nanos Regierung nicht unbedingt eine Gefahr – der Kampf mit der Opposition hilft ihm geradezu, von den innerparteilichen Schwierigkeiten auf einen externen Kontrahenten abzulenken.

So nutzte er Nachrichten, dass Albanien - als ein Land, dessen Gesellschaft von religiöser Heterogenität und Orientierungslosigkeit geprägt ist, aber gleichzeitig klar die US-Anti-Terror-Politik unterstützt - möglicherweise Ziel eines Terrorangriffs werden könnte, zum Gegenschlag gegen die Opposition. Nano: "Die nationale Sicherheit ist nicht nur eine Aufgabe der Regierung, da diese auch erheblich von der inneren Stabilität abhängt. Diese wird zurzeit von verantwortungslosen Taten einer destruktiven Opposition bedroht[...]."

Wichtige Fragen bleiben auf der Strecke

Durch die innenpolitischen Blockaden läuft Albanien erneut Gefahr, im wichtigen und allseits gewünschten europäischen Annäherungsprozess zurückzufallen. Die wirklich wichtigen Fragen - der Kampf gegen Korruption, organisiertes Verbrechen, die Verbesserung der Energieversorgung und der allgemeinen Lebensbedingungen - bleiben ebenso auf der Strecke wie die innere Sicherheit, solange die Politik nur mit sich selbst beschäftigt ist.