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"Ausländer sind neugierig auf Deutschland"

Jochen Kürten4. Juli 2016

Im Ausland ist er ein Aushängeschild des neuen deutschen Kinos. Mit der DW sprach Petzold über das frühere "Mäusekino" und die Berliner Schule und darüber, was dem deutschen Film allzu oft fehlt.

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Filmfest München Filmregisseur Christian Petzold (Foto: Filmfest München)
Bild: Filmfest München

Insbesondere in Frankreich, aber auch im Arthouse-Bereich in den USA, gilt Christian Petzold als einer der renommiertesten Filmregisseure Deutschlands. Gern wird er dort als Vorreiter und Vertreter der sogenannten "Berliner Schule" vorgestellt: Das ist eine lose verbundene Gruppe von Regisseuren, die in den 1990er und 2000er Jahren auf sich aufmerksam machte. Ihre Filme zeichnen sich durch ein ausgeprägtes ästhetisches Konzept aus: lange Einstellungen, wenig Schnitte, sparsam eingesetzte Musik, zurückhaltendes Spiel der Darsteller, unspektakuläre, oft auch karge Schauplätze. Die Geschichten handeln oft von Alltäglichkeiten, das Leben der Protagonisten wird schnörkellos und handlungsarm erzählt. Die Deutsche Welle traf Christian Petzold beim Filmfest München, wo dem Regisseur eine umfassende Retrospektive ausgerichtet wurde.

Deutsche Welle: Wie sind Ihre Erfahrungen im Ausland, wenn Sie ihre Filme dort zeigen?

Das Ausland ist natürlich neugierig. Deutschland ist auch ein Land, das ganz wenige Bilder von sich hat, bis auf Stasi, Nationalsozialismus… Und die Zuschauer im Ausland sind dann neugierig, fragen: Was ist das für ein Land? Wie lebt Ihr denn da? Genauso wie ich, wenn ich z.B. einen dänischen Film sehe, dann interessiert mich das auch, weil: Dänemark ist eben nicht Deutschland.

Das Furchtbare an Filmen ist ja immer, wenn sie weltweit alle ansprechen und so irre gleich aussehen. Und aus diesem Grund habe ich immer das Gefühl, das die Neugierde auf das eigene Land gar nicht so weit weg ist von der Neugierde der "Ausländer" auf Deutschland in den Filmen.

Phoenix Film Still (Foto: Christian Schulz)
Holocaust & Kolportage: Petzolds Film "Phoenix"Bild: Christian Schulz

Die Reaktionen auf einen Film sind ja von Land zu Land unterschiedlich. Was haben Sie zum Beispiel in den USA, wo Ihr Film "Phoenix" erfolgreich im Kino lief, für Erfahrungen gemacht?

Der Film hat ja einen Kolportagecharakter, es ist ja eine Irrsinnsgeschichte, trotzdem ist da auch eine Holocaust-Geschichte. Die Verbindung Holocaust & Kolportage ist in Ländern, die vom Holocaust und von der deutschen Vernichtungspolitik betroffen waren, eine andere als in den USA. Die Amerikaner lieben die Kolportage. Die finden alles, was man erzählen kann, in allen Formen von Geschichten, großartig. Gleichzeitig gab es aber auch die großen jüdischen Gemeinden in Los Angeles und New York, die gerade das Kolportagehafte genossen haben, weil es mal anders über den Holocaust erzählte. Während es in Deutschland immer so ist: Das darf man nicht! In Frankreich ist das auch ein wenig so.

Sie werden gerade in den USA und in Frankreich als einer der wichtigsten deutschen Filmregisseure wahrgenommen. Wie gehen Sie damit um?

Ich versuche gar nicht, lange darüber nachzudenken, weil das dann zu einer furchtbaren pervertieren Form von Narzissmus führt. Damit möchte ich gar nicht lange zu tun haben. Aber: Es ehrt mich natürlich auch.

Gern werden Sie im Ausland auch als Vertreter der "Berliner Schule" vorgestellt. In Frankreich wird diese Stil-Richtung geradezu mit deutschem Kino gleichgesetzt. Schätzen Sie das eigentlich? Bei einer Diskussion während der Retrospektive in München hat Sie ein Zuschauer mit dem Titel "Hitchcock der Berliner Schule" bedacht.

Christian Petzold Regisseur Filmfest München 2016 (Foto: Jochen Kürten)
Christian Petzold im DW-InterviewBild: DW/J.Kürten

Der Begriff "Berliner Schule" war ja eine Erfindung von anderen. Den hat man sich ja nicht selbst gegeben. Aber die Namen loszuwerden, die andere einem geben, ist noch schwerer als den eigenen Namen. Ja, der Zuschauer hat mich den "Hitchcock der Berliner Schule" genannt: Das ist nämlich nicht so weit voneinander entfernt. Die Berliner Schule war eine Rückbesinnung aufs Kino - und nicht auf den Fernseh-Themenfilm, wie er uns beherrscht hat, auch mit Hollywood nachgemachten Filmen, vielen Komödien im Pro7-Stil.

Die "Berliner Schule" war eine, die wissen wollte, wie wir hier leben. Wir möchten die neuen Gesichter sehen, die neuen Körper sehen, und wir möchten auch gleichzeitig die Geschichten erzählen. Das war gar nicht so weit weg von Hitchcock.

In Frankreich, wo man von einer "Nouvelle Vague Allemande" spricht und wo Ihre Filme sehr geschätzt werden, wird die Kinokultur sehr gepflegt. Warum ist das so?

Film Barbara von Christian Petzold mit Nina Hoss (Foto: Piffl Medien)
Petzolds Muse Nina Hoss war schon in einigen Filmen des Regisseurs zu sehen, hier in "Barbara"Bild: picture-alliance/dpa

Die Franzosen vergewissern sich im Kino, wer sie sind. Ich empfinde das so in Frankreich, und deswegen ist das auch das Kinoland: In Deutschland ist das Kino - vielleicht hat das noch etwas mit den Nationalsozialisten zu tun - immer ein pädagogisches Propagandaministerium gewesen. Die Franzosen haben in Krisenzeiten im Kino immer etwas gefunden. Sie haben ihre Geschichten gefunden. So empfinde ich das immer noch, wenn ich in Frankreich bin. Das französische Kino hat nicht deshalb so einen hohen Marktanteil, weil es Quotenregeln gibt, sondern weil die Leute gern wissen wollen, wie sie leben.

Das ist ein bisschen wie die Tour de France: Die gucken die sich nicht nur an, um Anabolika-Körper zu sehen, sondern auch deswegen: Ach das ist unser Land, toll! Da wird der Wein angebaut. Da ist die Burg. Und da ist die aristokratische Linie. Und das ist der Arbeiteraufstand, der niedergeschlagen worden ist. Das gefällt mir, wenn ein Land versucht, sich im Kino eine Erzählung zu geben.

Umgekehrt gefragt: Woran fehlt es diesbezüglich in Deutschland?

Filmfest München Filmregisseur Christian Petzold vor der Presse (Foto: Filmfest München)
Beim Filmfest München viel gefragt: Christian PetzoldBild: Filmfest München

Im Begriff der "Berliner Schule" steckt ja schon drin, dass das in Berlin funktioniert. In Berlin gibt es Kinos, in Berlin gibt es Auseinandersetzungen. Deshalb sollte man das Berliner Modell ausweiten.

Ihr neuer Film, der gerade beim Filmfest München zu sehen war, entstand fürs Fernsehen: "Wölfe" aus der Reihe Polizeiruf. Sie wenden sich ja auch gegen eine spezifische Fernsehästhetik. Kann man fürs Fernsehen heute auch Filme machen, die nicht auf diese TV-Ästhetik setzen?

Das hat sich ein bisschen geändert durch die riesigen Fernseher und die Beamer, die die Leute heute haben. Dadurch spricht man heute nicht mehr vom "Mäusekino". Ich arbeite fürs Fernsehen mit genau denselben Mitteln wie fürs Kino. Man muss vielleicht ein wenig bei Totalen und bei den Naheinstellungen aufpassen. Das ist aber fast unmerklich.

Der große Unterschied ist: Wo läuft ein Film? Das ist ein anderes Gefühl für einen Film selber, wenn er zwischen Tageschau und "Anne Will" läuft, als wenn er ganz alleine in einem Kino läuft: Wenn sie dorthin gehen, dann hat der Film eine andere Umgebung. Das ist aber schon der ganze Unterschied.

Aber bei der Kamera, beim Licht, beim Schnitt, also bei den klassischen Filmhandwerken, arbeiten Sie nicht anders?

Petzolds erster Polizeiruf 110: "Kreise" mit Barbara Auer und Matthias Brandt (Foto: Filmfest München)
Petzolds erster Polizeiruf 110: "Kreise" mit Barbara Auer und Matthias BrandtBild: Filmfest München/BR/C. Schulz

Nee, das ist kein Unterschied. Ich achte nur darauf, dass die Produktionsmittel, die ich zu Verfügung habe - das sind hauptsächlich die Zeit, die Produktionstage -, dass das ausreicht. Wenn bei den Produktionstagen Lohndrückerei vorkäme, dann würde ich sofort aufhören.

Das Gespräch führte Jochen Kürten.